Des Heinzens kleine Geschichtsecke

  • Da eine Beschäftigung mit dem FCK momentan unerträglich erscheint, hab ich mir überlegt bei Lust und Laune hier immer mal wieder über historische Ereignisse zu erzählen. Wie regelmässig ich das dann schaffe, muss ich schauen. Und es steht natürlich jedem frei, sich aktiv an diesem Thread mit Geschichten und Kommentaren zu beteiligen. Würde mich jedenfalls freuen.


    Ich fang heut einfach mal an. Das Thema lautet: 1983 - das heisseste Jahr des Kalten Krieges


    Das heisseste Jahr des kalten Krieges 1983? Die Kubakrise war doch viel früher. Dennoch ist diese These durchaus haltbar. Was war passiert?

    In den USA regierte der Hardliner Ronald Reagan, in der Sowjetunion Yuri Andropow von der "alten Garde". Wobei dieser aufgrund gesundheitlicher Probleme die Regierungsgeschäfte zeitweise vom Krankenbett aus führte. In Europa sorgt die geplante Stationierung der Pershing-2-Raketen zu einem Erstarken der Friedensbewegung.


    Den Auftakt zur Krise des Jahres 1983 macht eine Rede Reagans, welche als seine aggressivste Rede in die Geschichte einging. In dieser bezeichnete er die UdSSR als das "Reich des Bösen". Einige Wochen später legte Reagan nach und verkündete die Entwicklung des SDI-Programms, welches unter dem Namen "Starwars" bekannt wurde. Ziel des Systems war es anfliegende russische Atomraketen abschiessen zu können. Für die Sowjetunion war dies eine ernste Bedrohung. Die eigenen Atomwaffen waren möglicherweise nutzlos und die Pershing-Raketen hatten eine Flugzeit, die eine Reaktion kaum zugelassen hätte. Dementsprechend wurden weltweit russische Spione aktiviert, um mögliche Kriegsvorbereitungen zu dokumentieren. Im selben Jahr führten die Russen ein neues Computersystem ein, welches über Satellit Startblitze US-amerikanischer Atomraketen erkennen sollte. Doch dazu gleich mehr.


    Die nächste Verschärfung der Situation entstand durch einen koreanischen Passagierjet. Dieser flog einen falschen Kurs und drang weit in den russischen Luftraum ein. Zu dieser Zeit überflogen U2-Flugzeuge regelmässig die Sowjetunion in extremer Höhe und fotografierten bei ihrem Überflug. Wahrscheinlich dachten die Russen, ein solches Flugzeug geortet zu haben. Abfangjäger stiegen auf, um das unbekannte Flugobjekt zu verfolgen. Wie gesagt handelte es sich nicht um einen Aufklärungsflug, sondern um eine Passagiermaschine. Diese änderte zwar nach Warnschüssen den Kurs, wurde von den Sowjets trotzdem abgeschossen. Ein US-Lauschposten fing die Kommunikation zwischen Abfangjäger und Basis ein und dokumentierte damit den Abschussbefehl. Weltweit führte dieser Zwischenfall zu Protesten gegen die Sowjets, auch wenn diese den Zwischenfall - soweit sich das sagen lässt - wirklich aufrichtig bedauerten. Für die US-Propaganda unter Reagan war der Zwischenfall natürlich trotzdem ein gefundenes Fressen.


    Gegen Jahresende spitzte sich die Situation dramatisch zu. Es war meines Wissens der einzige Moment des Kalten Krieges, wo russische Flugzeuge mit scharfen Atomwaffen auf ostdeutschen Rollfeldern auf den Startbefehl warteten. Die USA unterschätzten die Situation massiv. So führte die NATO im Hauptquartier Belgien eine jährliche europaweite Übung durch, bei der Kommando- und Funkeinheiten die Koordination von atomaren Vergeltungsschlägen einübte. Im Gegensatz zu den Vorjahren betraf die Übung 1983 allerdings alle ranghohen Nato-Offiziere. Diese begaben sich zu Übungszwecken in entsprechende Bunker. Die Übung trug den Namen "Able Archer". Zudem meldeten die russischen Spione seit einiger Zeit regelmässig Anzeichen, die die These eines nuklearen Angriffs stützten. Für die Sowjetunion ergab sich das Bild aktiver Kriegsvorbereitungen.


    Dies bestätigte sich auf beängstigende Weise in einer russischen Kontrollstation, nämlich in der Station, welche die Startblitze der amerikanischen Atomraketen erkennen sollte. Dort meldete das Computersystem den Aufstieg einer Atomrakete. Der diensthabende Offizier Stanislaw Petrow war nun in der Situation, den Raketenangriff an die russische Führung zu melden oder den Alarm auszuschalten, denn das russische System wäre quasi von alleine angelaufen, um einen Vergeltungsschlag sicherzustellen. Es musste aktiv gestoppt werden. Insgesamt meldete das System fünf Raktenstarts. Petrow schaltete das System ab. Seine Intuition und seine Ausbildung hatten ihn gelehrt, dass ein Atomschlag mit einem massiven Aufsteigen vieler Raketen verbunden wäre. Diese einzelnen anfliegenden Raketen erschienen ihm unlogisch.


    20 Minuten später war klar, dass es sich um einen Fehlalarm gehandelt hatte. Keine amerikanischen Atomraketen waren eingeschlagen. Das Sonnenlicht wurde in der Abenddämmerung in den Staaten von Wolken so reflektiert, dass sie das System fälschlicherweise als Raketenstart interpretiert hatte. Als den Amerikanern die Gefahr bewusst wurde, begab sich Reagan schliesslich schnellst möglich auf seine Ranch in Texas und ließ sich beim Striegeln seines Lieblingspferdes öffentlichkeitswirksam ablichten. Dies sollte ein Signal an die Sowjets sein. Schaut her, so ein Mann beginnt keinen Atomkrieg. Petrow wurde übrigens wegen Befehlsverweigerung unehrenhaft entlassen. Ironie der Geschichte.


    Die Krise war jedenfalls abgewendet. Mehr noch. Sie leitete ein Umdenken ein. Reagan war nun bereit für Entspannung, zumal ihn der Film "The Day After" stark beeindruckte hatte und ihm vor Augen führte, was ein Atomkrieg auch für die USA bedeuten würde. Auch die Musikszene spiegelt die Stimmung des Jahres 1983 recht gut. Nenas "99 Luftballons" werden zum Welthit und auch Alphavilles "Forever Young" beginnt mit:


    Let's dance in style, let's dance for a while

    Heaven can wait we're only watching the skies

    Hoping for the best, but expecting the worst

    Are you gonna drop the bomb or not?


    Eine der größten Krisen der Menschheitsgeschichte war gut zu Ende gegangen. Gerade nochmal so.

  • Heute noch einmal ne kleine Geschichte von mir. Diesmal sogar mit regionalem Bezug.


    Mein Thema heute lautet: Die "Ramstein2"


    Bei der heutigen Geschichte befinden wir uns am Anfang der 1970er Jahre. Der farbige Teil der US-Gesellschaft kämpfte in diesen Jahren um Gleichberechtigung. Zwei Jahre zuvor wurde der Bürgerrechtler Martin Luther King in den Staaten ermordet. Doch dieser Konflikt schwelte nicht nur in den USA. Wie der Name schon andeutet, spielt sich zumindest ein wichtiges Ereignis teilweise in Ramstein ab.


    Dort kommt es am Haupttor der Airbase zu einer Schiesserei zwischen Black-Panther-Aktivisten und einem deutschen Wachmann, der bei der Auseinandersetzung auch am Bein verletzt wird. Die Black-Panther-Aktivisten, deren Anzahl nie zweifelsfrei geklärt werden konnte, wollten Plakate aufhängen, um für den Besuch von Cathleen Cleaver zu werben. Sie flüchteten sich nach dem Schußwechsel in den Pfälzer Wald und wurden dort von Polizeikräften mit Suchhunden letztlich gestellt. Die Black-Panther waren sozusagen der gewaltbereite Flügel der Bürgerrechtsbewegung. Dazu zählte auch der Gedanke, sich ggf. bewaffnen zu müssen, um die Gleichberechtigung durchzusetzen.


    Bereits in den Jahren davor war die Umgebung von Kaiserslautern Schauplatz verschiedener Delikte. Die Politik nutzte verschiedene kleinere Zwischenfälle im Bereich Kneipenschlägerei und Sachbeschädigung, um eine massive Aufrüstung der Gendarmerie zu fordern wie aus einem Bericht der Pfälzischen Volkszeitung hervorgeht. Insgesamt geben die Zeitungsartikel über diese Zeit einen recht guten Eindruck über die Situation und ebenso die Handhabung beider Seiten. Denn auch die Polizei suchte offensichtlich den Konflikt hin und wieder. So äusserte der Polizeipräsident in Kaiserslautern einmal die Befürchtung, dass sich die Neger rächen könnten. Zuvor fand eine Razzia in einem von Afroamerikanern besuchten Nachtclub statt, die vorsorglich mit dem Knüppel durchgeführt wurde. Doch mit diesen Spannungen nicht genug.


    Auch innerhalb der US-Armee kochte es gewaltig. Militärstudien sprechen davon, dass sich die in Europa stationierten Streitkräfte in Auflösung befanden. Hier spielen verschiedene Gründe eine Rolle. Zum einen gab es auch in Deutschland einen entsprechenden Rassismus, sowohl innerhalb der US-Armee als auch von Seiten der Deutschen. So musste teilweise sogar der Bundespräsident intervenieren, weil sich ein Oberbürgermeister dagegen ausgesprochen hatte, farbigen US-Amerikanern Wohnraum zu vermieten. In den US-Kasernen in Rheinland-Pfalz brannten zu dieser Zeit vereinzelt schon Kreuze als Zeichen des Ku-Klux-Klans. Die Offiziersstruktur und die Farbigen-Quote dort unterstrich die Ungleichbehandlung. Zudem stieg der Drogenkonsum massiv an. Weiter verschärft wurde das Ganze durch die Praxis der US-Amerikaner, aus dem Vietnamkrieg zurückkehrende Soldaten erstmal eine geraume Zeit in Deutschland wieder zu sozialisieren, bevor man sie in die Heimat schickte. Das US-Hospital Landstuhl ist heute noch ein Überbleibsel dieser Politik. Als wäre diese Gemengelage an sich schon nicht heikel genug, erkannte die deutsche Studentenbewegung in der Situation die Möglichkeit, den Protest gegen die Amerikaner zu internationalisieren und in die US-Bevölkerung zu tragen. Es kam zu einer zweijährigen Allianz. Unter diesem Aspekt wurden die "Ramstein2" zu einem Fanal für entsprechende Kreise.


    Der Prozeß gegen zwei Black-Panther-Aktivisten fand schliesslich in Zweibrücken statt, wo diese auch in Haft saßen. Wie bereits erwähnt, ließ sich die Zahl der beteiligten Aktivisten nicht endgültig klären. Ein Dritter wurde mit Hilfe der Studentenbewegung über Umwege wohl nach Algerien ausgeflogen. Spannender Aspekt. Möglicherweise wurden dort bereits Verbindungen genutzt, die später auch für die Ausreise deutscher Terroristen benutzt wurden. Auch von einem vierten Aktivisten ist die Rede, das erscheint allerdings unwahrscheinlich. Insgesamt müssen diese Aussagen mit einer gewissen Skepsis betrachtet werden. Es lässt sich einfach nicht abschliessend klären.


    Bereits während der Haft kam es zu einer Demonstration in Zweibrücken. Eine zweite Demonstration fand mit Prozeßbeginn statt. Die Zeitungen schrieben teilweise von einer linken Pilgerfahrt in die Provinz. Keine der Demos verlief letztendlich friedlich. Einmal bogen die Demonstranten falsch ab, was den Einsatz der bereitstehenden Hundertschaft "erforderte" und beim Prozeß kam es zu Schlägereien zwischen Zweibrückern und Demonstranten. Entzündet hatte sich der Streit am Bismarck-Denkmal vor dem Gericht. Stellte es für die Demonstranten ein Symbol für das "alte" Deutschland dar, waren einige Bauersleut nicht gewillt, sich die Beschmutzung durch die Demonstranten tatenlos anzusehen. Als das Denkmal mit einem Schild mit der Aufschrift "100 Jahre Bismarck, 100 Jahre Scheissdreck" behängt wurde, flogen die Fäuste. Wieder einmal kommt hier die Ironie der Geschichte zum Vorschein. Zwar stritten beide Seiten um das Denkmal, gewonnen hatten den Kampf aber schon lange die Tauben, die das Ding massiv zugesch... hatten ;)


    Auch im Gerichtssaal kam es zu tumultähnlichen Zuständen. Die ganze Situation lässt sich ganz gut mit dem Kaufhausbrandstifterprozeß gegen spätere RAF-Mitglieder vergleichen. Der zuständige Richter war mit der Situation total überfordert und ordnete alle paar Minuten Saalräumungen an, der Staatsanwalt leitete aus den Flyern der Black-Panther mit dem Recht auf Selbstbewaffnung Mordabsichten ab (ein Zeitungskommentar bezeichnet ihn als "Jurist alter Schule, der kaum Zweifel aufkommen lässt, dass ihm selbst Zweifel fremd sind"), die Anwälte versuchten amerikanisches Strafrecht einzufordern und der angeschossene deutsche Wachmann musste zugeben, dass seine Frau einige Wochen zuvor mit einem Afroamerikaner durchgebrannt war.Letztlich wurde der Prozeß zur reinen Farce und musste wegen Verhandlungsfehlern in Frankenthal neu verhandelt werden. Dort wurden recht milde Strafurteile gefällt.


    Die Allianz zwischen afroamerikanischen Soldaten und deutschen Studenten zerfiel übrigens bereits 1972 wieder. Ein neuer US-Oberbefehlshaber für die US-Armee in Deutschland wurde eingesetzt und nahm die Belange der Farbigen ernst. Viele Programme wurden angestossen und die GIs sahen ihre Forderungen erfüllt. Ein Kampf gegen das imperialistische US-Regime kam für sie eh nicht in Frage und nach der Erfüllung ihrer Forderungen gab es auch keine gemeinsame Basis mit den Studenten mehr.


    Edit: noch eine Anmerkung von mir. Diese Geschichten werden nie einem wissenschaftlichen Ansatz gerecht. Ich lasse Namen weg und breche Dinge herunter, um sie anschaulich zu machen. In diesem Rahmen erscheint mir das auch sinnvoll. So verzichte ich beispielsweise oft auf Datumsangaben u.ä. Bei Interesse kann man aber gern nachfragen, auch bezüglich meiner Quellen.

    5 Mal editiert, zuletzt von tja-heinz ()