Das waren noch Zeiten: "Wir sind doch nicht im Kindergarten"
- Dirk
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Es war ein Dienstagabend, als sich auf dem Lautrer Betzenberg zwei der damals besten deutschen Mannschaften gegenüberstanden. Der amtierende Vizemeister aus der Pfalz empfing in der zweiten Runde des DFB-Pokals den späteren Deutschen Meister Borussia Dortmund. Und beide Mannschaften schenkten sich nichts. Borussia Dortmund galt in den 90er Jahren als absolute Spitzenmannschaft, aber nicht zuletzt dank ihres Mittelfeldmotors Andy Möller auch als talentierte Schauspieltruppe. Nur vier Wochen nach dem letzten Aufeinandertreffen der beiden Kontrahenten in der Bundesliga, das die Schwarz-Gelben nach einem Elfmeter für eine Riedle-Schwalbe mit 2:1 für sich entscheiden konnten, sannen die Roten Teufel auf Revanche - und die sollten sie bekommen.
Duell zweier Schwergewichte
Zu einer Zeit, als die Bayer-Werksvereine aus Leverkusen und Uerdingen noch die Retortenclubs der Bundesliga waren und niemand wusste, wo Hoffenheim liegt oder dass man in Leipzig bald einem Getränkehersteller verfallen würde, gehörte der 1. FC Kaiserslautern zu den absoluten Spitzenmannschaften der Bundesliga. Einer nur wenige Monate zurückliegenden Unsportlichkeit von Nationalspieler Thomas Helmer - Stichwort Phantomtor gegen Nürnberg - war es zu verdanken, dass der FCK nicht als amtierender Deutscher Meister in die Saison 1994/95 startete, sondern sich „nur“ als Vizemeister der Konkurrenz stellen musste. Lediglich eines der ersten fünf Spiele ging verloren und mit sieben Punkten war der Saisonstart bei der damals noch gültigen Zwei-Punkte-Regel absolut im grünen Bereich. Nur diese eine Niederlage wurmte die Roten Teufel. Denn die war sehr fragwürdig und kam am dritten Spieltag in Dortmund zustande. Also gegen die Borussia, die nur vier Wochen später im DFB-Pokal zu Gast auf dem Betzenberg war. Und wer den Betze jemals live erlebt hat, weiß, wie die Hütte nach so einer Vorgeschichte brennt.
Vermutlich wegen der Live-Übertragung im Free-TV und der Anstoßzeit strömten an diesem Dienstagabend nur 33.000 Zuschauer in das damals lediglich 38.000 Zuschauer fassende Fritz-Walter-Stadion. Und zumindest die FCK-Fans unter ihnen mussten schon vor Spielbeginn die erste Hiobsbotschaft verkraften. Nationalstürmer Stefan Kuntz hatte sich am Samstag zuvor beim Bundesligaspiel in Uerdingen schwer verletzt und fiel mit einem Muskelbündelriss für längere Zeit aus. FCK-Trainer Friedel Rausch musste deshalb seine Startformation umstellen und ersetzte den Torjäger durch Neuzugang Olaf Marschall.
Gemeinsam mit dem späteren Fußballgott standen Gerry Ehrmann, Miro Kadlec, Axel Roos, Wolfgang Funkel, Thomas Hengen, Dirk Anders, Ciriaco Sforza, Martin Wagner, Andy Brehme und Pavel Kuka von Beginn an auf dem Rasen. Gästetrainer Ottmar Hitzfeld vertraute dagegen auf Stefan Klos, Matthias Sammer, Julio César, Bodo Schmidt, Michael Zorc, Steffen Freund, Stefan Reuter, Andreas Möller, Knut Reinhard, Flemming Povlsen und Stéphane Chapuisat.
Unschuldslamm Möller
Es dauerte nicht lange, bis klar war, dass Schiedsrichter Hermann Albrecht keinen leichten Abend vor sich hatte. Nach anfänglichem Mittelfeldgeplänkel und harten Zweikämpfen ließ sich Andreas Möller nach 20 Minuten zu einer Tätlichkeit gegen Ciriaco Sforza hinreißen. Der Weltmeister von 1990 verpasste Lauterns Denker und Lenker einen Bodycheck, woraufhin der Schweizer mit Verdacht auf Rippenbruch ausgewechselt werden musste. Was folgte, war betzelike: Ein Gerry Ehrmann auf Hochtemperatur, Rudelbildung auf dem Platz, Handgreiflichkeiten am Spielfeldrand und ein Schiedsrichter, der nicht einmal die gelbe Karte gegen Andy Möller zückte, weil der sich laut Albrecht nicht erinnern konnte, Sforza überhaupt berührt zu haben. Die rappelvolle Westkurve tobte und war nicht die einzige, die an diesem Abend zu Bestform auflief.
Friedel Rausch ersetzte Sforza durch Matthias Hamann, und die Roten Teufel taten sich im weiteren Verlauf der ersten Halbzeit schwer, wieder ins Spiel zu finden. Spätestens in der 38. Minute schien Möllers Plan aufzugehen. Die Borussen nutzten ihre Feldüberlegenheit und Stéphane Chapuisat brachte die Schwarz-Gelben mit einem Kopfball in Führung, die auch zur Pause Bestand haben sollte. Doch der 1. FC Kaiserslautern der 90er Jahre zeichnete sich vor allem durch sein großes Kämpferherz aus und man wusste, dass man in der zweiten Halbzeit auf die Westkurve spielen würde. Mindestens zwei gute Gründe also, die „Jetzt-erst-Recht-Mentalität“ auszupacken.
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Betze at it's best
Mit dem sprichwörtlichen Messer zwischen den Zähnen kehrten die Männer in Rot auf den Platz zurück und legten los wie die Feuerwehr. Nur drei Minuten nach Wiederanpfiff hämmerte Dirk Anders den Ball aus rund 20 Metern in die Maschen und verwandelte den Betzenberg in ein Tollhaus. Steffen Freund versuchte mit einer grenzwertigen Aktion den Abschluss noch zu verhindern und verletzte Anders dabei schwer. Der Mittelfeldspieler musste mit einem Bänderriss ausgewechselt werden und stellte seinen Trainer vor ein großes Problem. Denn auch Olaf Marschall verletzte sich bei einem Zweikampf am Knöchel und hätte eigentlich nicht mehr weiterspielen können. Doch damals waren nur zwei Auswechslungen für Feldspieler erlaubt. So humpelte Marschall weiter und sollte im weiteren Spielverlauf noch eine entscheidende Rolle spielen.
Beide Seiten dachten gar nicht daran, in der Spielintensität nachzulassen. Rangeleien, Handgreiflichkeiten und kernige Zweikämpfe ließen eine FSK-12-Freigabe allmählich fraglich erscheinen. Doch wieder waren es die Dortmunder, die die aufgeheizte Stimmung zu nutzen wussten und durch Flemming Povlsen erneut in Führung gingen. Das 1:2 und eine gute halbe Stunde Restspielzeit versprachen jedoch eine hochemotionale Schlussphase. Mit dem eingewechselten Thomas Franck schaffte es zudem ein Borusse, in weniger als zehn Minuten Spielzeit die Nerven zu verlieren, eine gelb-rote Karte zu kassieren und damit den FCK wieder voll ins Spiel zu bringen. Elf Lautrer, wenn man Marschall mitzählt, belagerten nun das von zehn Dortmundern bewachte Tor von Stefan Klos und versuchten, den Ausgleich und damit die Verlängerung zu erzwingen.
Letzte Spielminute: Nach einer Flanke in den Strafraum kam Olaf Marschall nicht mehr an den Ball, traf aber seinen Gegenspieler Bodo Schmidt so (un-)glücklich am Fuß, dass dieser den Ball mit der Hand abwehrte. Schiedsrichter Albrecht nahm nur die letzte Aktion wahr und entschied auf Handelfmeter für die Roten Teufel. Und wer, wenn nicht der goldene Torschütze von Rom, hätte sich den Ball schnappen sollen? Anlauf Brehme - Toooooor! Wahnsinn! Ausgleich! Verlängerung! Und ein Stadion am Rande des Zerberstens.
Karneval am Betze
Und wieder - wie sollte es anders sein? - kamen die Dortmunder mit der neuen Spielsituation besser zurecht. Matthias Sammer, inzwischen Dreh- und Angelpunkt im Dortmunder Spiel, tauchte im Sechzehner auf und schob eine Möller-Hereingabe überlegt ein. 2:3! Doch auf dem Betze ist erst Schluss, wenn der Schiedsrichter unter der Dusche steht - bis dahin geht es weiter! So auch an diesem Abend. Die Mannschaft von Friedel Rausch schüttelte sich nach dem erneuten Nackenschlag kurz und gab wieder Gas. Nur zwei Minuten nach der Gästeführung schlugen die Lautrer dann zum dritten Mal zurück. Miro Kadlec sorgte mit einem Strahl aus gut 25 Metern für das 3:3 und machte den Dortmundern nun endgültig klar, dass hier für sie nichts zu holen war.
Nur weitere drei Minuten später flankte Andy Brehme erneut in den Strafraum und versuchte dort ein weiteres Mal Olaf Marschall zu finden. In „halb-liegt-er-halb-fliegt-er-Manier“ hob dieser ab und lenkte den Ball an Stefan Klos vorbei zum 4:3 für den FCK. Zum ersten Mal an diesem Abend gingen die Roten Teufel in Führung - und das ausgerechnet durch den längst überfälligen Kandidaten für die medizinische Abteilung. Nun war der BVB gefordert. Die Dortmunder versuchten sich gegen die Niederlage zu stemmen und brachten ihre komplette Offensive auf den Platz. Doch spätestens in der 114. Minute erlosch der letzte Hoffnungsschimmer. Pavel Kuka fehlte noch auf der Anzeigetafel und sorgte mit seinem vielumjubelten 5:3 für die Vorentscheidung. Dass Martin Wagner mit dem finalen 6:3 noch einen draufsetzte, ließ die Partystimmung nicht weniger werden.
Auch nach dem Spiel waren einige Gemüter noch erhitzt. „Das war heute eine Pogromstimmung. Der Schiedsrichter ist umgefallen wie eine Primel“, gab beispielsweise Dortmunds Präsident Niebaum dem Unparteiischen die Schuld an der Niederlage, während Andy Brehme es in seiner typischen Art auf den Punkt brachte: „Die Dortmunder sollen nicht so ein Theater machen. Wir sind doch nicht im Kindergarten!“
Ein legendärer Abend, den allerdings einer verpasst hat - nämlich der Autor dieser Zeilen. Trotz Dauerkarte feierte er den 18. Geburtstag seiner damaligen Freundin im Kreise der Familie und musste an diesem Abend auf die Westkurve verzichten. Da Schreiber und seine damalige Freundin aber längst glücklich verheiratet sind, ist der Verzicht auf ein Stadionerlebnis ein durchaus akzeptabler Preis. In diesem Sinne: Happy Birthday, mein Schatz!
Quelle: Treffpunkt Betze
Antworten 3
dirtdevil
an dieses denkwürdige spiel erinnere ich mich noch genau
danach war sammer für mich ne persona non grata.wie der sich
immer wieder mit dem publikum angelegt hatte,war schon grenzwertig.
aber diesen kampf konnte er unmöglich gewinnen.
das war dieses berühmte betzespiel mit einer besonderen atmosphäre.
unterfranke06
Happy birthday! 🎉
martini
Immer noch das geilste Spiel jemals für mich. Auch das einzige, was ich mir mehrfach angesehen habe.