Eine Hommage: "Dem Fritz sein Wetter"

Hans Hermann Gockel (li.) mit Fritz Walter im August 1984
Foto: Imago Images / teutopress

Er war der erste Ehrenspielführer der deutschen Nationalmannschaft und der verlängerte Arm von Sepp Herberger. Er war Vorbild für eine ganze Generation und ist es für eine Region im Südwesten Deutschlands noch immer. Wir feiern heute: Fritz Walter.


Ein spätherbstliches Jugend-Amateurspiel in Rheinland-Pfalz der späten 90er Jahre: Die Luft ist nass, der Wind kalt und es nieselt. Ungefähr ein dutzend Zehnjährige binden sich ihre Fußballschuhe in einer viel zu kleinen, viel zu heruntergekommenen Kabine. Ein Dorfverein aus dem Pfälzerwald gegen einen anderen Dorfverein aus dem Pfälzerwald. Die Jungen freuen sich auf das Spiel, reiben sich die Oberschenkel ein letztes Mal bevor sie zum Warmlaufen auf den Platz gehen. Und als sie unter dem Vordach des Sportheims hervortreten, sagt der Trainer: "Mir kenne jo nur gwinne, is jo Fritz-Walter-Wedder". Dass der Trainer der gegnerischen Mannschaft höchstwahrscheinlich genau den selben Satz gesagt hat, war mir damals nicht klar. Weil, das war ja „unser“ Wetter. Das war ja "unser Fritz Walter".

Jeder Opa kannte Fritz Walter


Seit frühester Kindheit war mir klar, dass regnerisches Wetter "Fritz-Walter-Wetter" war. Die Temperatur spielte dabei keine Rolle. Auch nicht, ob das Wasser gerade von oben, schräg von oben oder stürmisch von der Seite kam. Später lernte ich, dass das Stadion auf dem Betzenberg auch nach diesem Fritz Walter benannt sei. Und als ich mich als kleiner Junge zum ersten Mal für die Gespräche Erwachsener interessierte, fiel der Name im kleinen beschaulichen Vereinsheim doch ziemlich oft. Er war kein Spieler des FCK. Denn den Kader kannte ich auswendig, samt Nummern und Positionen aller Spieler. Er war wohl jemand aus dem Trainerstab. Ich wusste nur, dass er extrem wichtig ist beziehungsweise war, mal eine Wäscherei oder so etwas in Kaiserlautern betrieb und das mein Opa ihn persönlich kannte. Wie sich später herausstellen sollte, kannte jeder Opa Fritz Walter. Persönlich. Irgendwann habe ich mich dann doch gefragt, wer denn der Mann sei, wegen dem ich regnerisches Wetter bis heute mit „Gewinnen“ und einem wohligen Gefühl auf dem Fußballplatz verbinde.

Der Mann hinter dem Mythos


Fritz Walter führte den 1. FC Kaiserslautern als Spieler zu zwei Deutschen Meisterschaften (1951 und 1953) und die deutsche Nationalmannschaft zu einem Weltmeistertitel (1954). Er galt als der verlängerte Arm von Sepp Herberger und als einer der torgefährlichsten Mittelfeldspieler seiner Zeit. Wobei über seinen Status als Mittelfeldspieler heftige Debatten geführt werden könnten. 1959 beendete er seine Karriere. Einer Einladung Herbergers zur Weltmeisterschaft in Chile 1962 folgte der damals 42-Jährige nicht. Auch aus Herbergers Plan Walter als seinen Nachfolger zu installieren wurde nichts. Nach seiner aktiven Karriere blieb er dem Fußball fern, jedenfalls sofern es ihm möglich war. Im Fernsehen war er hin und wieder zu sehen, um Anekdoten zum Besten zu geben. Er schrieb Bücher und war immer wieder als Fan auf dem Betzenberg, um "seinen FCK" anzufeuern.


Walter eröffnete einen Waschsalon und ein Kino und arbeitete in letzterem sogar selbst. Er riss einem die Karte ab und war nie verlegen, die ein oder andere Geschichte zu erzählen. Dafür wurde er bekannt. Jeden zu kennen und jedem späteren Opa in der Pfalz mal eben diese oder eben jene Geschichte erzählt zu haben. Er wohnte bis zu seinem Tod im Jahr 2002 im beschaulichen Enkenbach-Alsenborn. Er wechselte weder Verein, noch Haus oder Ehefrau. Über die Jahrzehnte wurde er zum festen Inventar der Stadt. Zwar bekleidete er nie ein Amt beim 1. FC Kaiserslautern, doch war er stets präsent. Zeitweise besuchte er die Spieler vor oder nach wichtigen Partien in der Kabine. Ansonsten tingelte er über die Sportplätze der Pfalz, schüttelte Hände und erzählte seine Geschichten. Allein sein Beinahe-Wechsel zu Atletico Madrid lässt sich in über fünf verschiedenen Videos auf Youtube finden. Von ihm erzählt mit den selben Sätzen, der selben Tonlage und einem Hauch Pfälzisch in Hochdeutsch.

Ein Sinnbild der Bodenständigkeit


Er wurde schon zu seiner aktiven Zeit, aber auch in den Jahrzehnten danach zum Sinnbild der Bodenständigkeit. Und so wurde langsam aber sicher aus dem Menschen Fritz Walter der "Mythos Fritz Walter". Den Kindern in der Pfalz erzählte man nicht etwa, wie viele Tore er geschossen oder wie er im WM-Halbfinale '54 die gesamte Abwehr von Österreich auseinandergenommen hatte. Man redete stattdessen von einem Hackentor gegen den SC Wismut Karl-Marx-Stadt, erzielt in einem Freundschaftsspiel vor 120.000 Zuschauern in Leipzig, welches vom damaligen DDR-Sportreporter Wolfgang Hempel als "Tor des Jahrhunderts" betitelt wurde. Von diesem Spiel existiert weder Foto- noch Videomaterial. Und dieses Tor steht für all das, was Fritz Walter für meine Generation ist: Ein großer Spieler, den wir nie haben spielen sehen. Ein Vorbild, über das wir nur Geschichten kennen. Der metaphorische Anführer des 1. FC Kaiserslautern.

Auch Helden haben Schwächen


Doch der zum Held stilisierte Walter hatte auch Schwächen. Zwar war er Kopf einer jeden Mannschaft in der er spielte, der buchstäbliche Denker und Lenker im Mittelfeld. Er war aber trotzdem kein Anführertyp. Er war niemand, der eine Mannschaft, wenn es schlecht lief, besser machte. Er erbrach sich vor fast jedem Spiel und nach bitteren Niederlagen drohte er wiederholt damit, seine Karriere zu beenden. Und wenn es gegen den FC Saarbrücken ging, setzte Walter alles daran, nicht gegen den überragenden Abwehrspieler Waldemar Philippi antreten zu müssen - inklusive dem Vortäuschen von Verletzungen. Auf Anweisung verschiedenster Trainer Walters musste dessen Frau Italia regelmäßig die Zeitungen aus dem Haushalt verschwinden lassen, da er nicht gut auf Kritik der Medien zu sprechen war.


Aber dieser Absatz soll es auch schon gewesen sein. Ich möchte nicht an einem Thron sägen, an dem ich mich meine gesamte Jugend hochgezogen habe. An dem wir uns alle hochgezogen haben. Der Betzenberg thront über Kaiserslautern und über dem Betzenberg nur noch Fritz Walter. Übermenschlich groß, so dass jedes Kind sein Wetter kennt, noch bevor es überhaupt weiß, wer die WM '54 gewonnen hat oder dass es den SC Wismut Karl-Marx-Stadt überhaupt gab. Fritz Walter ist der Mann, der sich völlig unfreiwillig in das kollektive Gedächtnis einer Stadt gebrannt hat - und das wie wir jetzt merken, über Generationen hinaus.


Letzte Woche wäre unser Fritz ein hundert und ein Jahr alt geworden. Das Symbol wegen dem sich jeder Pfälzer Junge auf Regen vor dem Spiel freut. Das Leitbild eines jeden E-Jugend-Spielers, der sich einredet, nie den Verein zu wechseln, sollte er mal Profi werden. Und der Mann, der den wahrscheinlich langweiligsten aber auch zutreffendsten Satz im Fußball überhaupt gesagt hat: „Der Schlüssel zum Erfolg ist Kameradschaft und der Wille, alles für den andern zu geben".


Quelle: Treffpunkt Betze


Anm. d. R.: Dieser Text entstand ursprünglich für die 11FREUNDE-Reihe „Die besten 10er aller Zeiten“.


Quelle: Treffpunkt Betze


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Antworten 5

  • Also ich persönlich finde, dass sich die "Hommagen" bei zu übermäßigem Einsatz ja abnutzen. Aber da kann man sicher geteilter Meinung sein. Ich hab jedenfalls eben bei der Überschrift gedacht, jetzt wird schon wieder "de Fritz" rausgezogen. Aber klar, der Geburtstag ist natürlich ein passender Anlass, selbst wenns kein runder Geburtstag ist.


    Anmerken hätte man noch können, dass Walters Affinität zum Regenwetter seiner Soldatenzeit geschuldet ist und dass er erst nach Ende der aktiven Karriere seine erste rote Karte sah. Aber natürlich Geschmackssache. Schlichtweg falsch ist allerdings, dass kein Fotomaterial von dem Tor existiert, denn es gibt ja dieses "berühmte" Bild davon, wenn man natürlich auch mutmaßen könnte, dass dieses irgendwann nachgestellt wurde. Filmmaterial gibt es übrigens deswegen nicht, weil in Berlin zeitgleich ein Spiel gegen eine Moskauer Mannschaft stattfand und dieses plötzlich, sicher aufgrund des Blockdenkens im Kalten Krieg, übertragen wurde. Dies zog auch einige Kritik nach sich in der ostdeutschen Bevölkerung, soweit ich mich erinnere, auch in damaligen Ostmedien. Aber das nur am Rande. Sry für diesen Einwurf, aber "Wissenschaft" muss sich eben um Korrektheit bemühen. Da kann ich dann nicht anders, wie eine entsprechende Anmerkung zu machen.


    Edit: P.S. Ich glaube, der Mann, der das Foto gemacht hat, hiess Breyer oder so ähnlich. Aber das müsste ich aufgrund der wissenschaftlichen Korrektheit und zur Rückversicherung auch erst nochmal nachschauen, bevor ich meine Hand dafür ins Feuer legen würde.


    Edit2: Wenn ich so recht drüber nachdenke, wundert mich auch, dass die Bezeichnung "Jahrhunderttor" von Hempel stammen soll. Aber ausschliessen kann ich es nicht. Ich weiss nur sicher, dass Hempel sich bei der WM54 viel Unmut in der Ostbevölkerung zuzog, weil seine Berichterstattung die westdeutsche Mannschaft in den Augen der Leute damals nicht genug würdigte, sondern eher vom Blockdenken geleitet war. Deshalb wundere ich mich ein wenig, dass dieses Zitat Hempel zuzuschreiben ist. Aber ist natürlich absolut möglich. Einfach nur interessant halt, weil mir die Zuschreibung des Zitats nicht geläufig war.

  • Muss nochmal auf den Artikel zurückkommen. Lässt mir einfach keine Ruhe. Wäre es denn evtl. möglich, verwendete Quellen und Sekundärliteratur zu erfahren?

  • Ich übernehme nach Absprache mit Matthias hier mal die Antwort:


    Die Informationen stammen aus Interviews und früheren Kicker-Ausgaben. Das 11Freunde Magazin verfügt dahingehend über ein sehr großes und ausführliches Archiv. Da der Text in seiner ursprünglichen Fassung bereits 2018 geschrieben wurde, wäre es jetzt ziemlich aufwendig, alle Quellen erneut zu recherchieren.

    Danke 1
  • Ok, danke. Schade. Naja, kann man nix machen.

  • Hier noch ein Nachtrag des Erkenntnisgewinns halber:


    Das nicht existierende Foto findet sich in der Chronik zum 1. FC Kaiserslautern von Dominic Bold, erschienen 2013, Erscheinungsort mir gerade unbekannt. Das Foto stammt laut diesem Standardwerk zur FCK-Geschichte vom Leipziger Sportfotograf Hans-Peter Beyer. Ich vermute, dieser könnte auch den Ausspruch des "Jahrhunderttors" im dazugehörigen Artikel geprägt haben. Aber wie gesagt reine Vermutung momentan.


    Und insgesamt möchte ich (sicher auch stimmungsbedingt) noch eine allerletzte Anmerkung zu dem Artikel machen. Dann werde ich endlich wieder Ruhe geben. Versprochen! Ich persönlich finde es einfach traurig, dass man solche Artikel schreibt, aber offensichtlich nicht mal solche reich illustrierten Standardwerke zum FCK wie die Chronik Bolds zumindest beachtet. Obwohl diese eigentlich qualitativ echt noch gut ist. Im Fussballbereich gibt es leider viel zu viel Sekundärliteratur, die einfachsten Kriterien der wissenschaftlichen Aufarbeitung nicht genügt. Auch da hat mal hobbymässig irgendwer halt mal irgendwas zusammengeschrieben. Das ist halt die Wahrnehmung bei Geschichtsforschung. Ein tolles Hobby. Vor allem mit zunehmendem Alter. Das hab ich schon ganz oft hören müssen und es macht mich immer wieder traurig. Denn eine fundierte Aufarbeitung kann wie in jedem anderen Fachbereich auch in ganz viel Arbeit ausarten. Oder man schreibt halt was zusammen aus irgendwelchen Onlinearchiven. Im Nachhinein nicht einmal die Quellen benennen zu können, spricht ehrlichgesagt Bände. Aber man muss ja unheimlich Stolz auf den Artikel gewesen sein, dass man ihn nun trotz inhaltlicher Mängel erneut veröffentlicht. Is ja auch ok. Wurde sicher mit ganz viel Liebe und Leidenschaft damals geschrieben und war sicher auch einiges an Arbeit.


    Kann das verstehen. Hab sowas ja auch mal gemacht. War auch ne Menge Arbeit, neben der Sichtung der Stasiakten noch möglichst alle ostdeutschen und regionalen westdeutschen Zeitungen, sowie die nahezu komplette Sekundärliteratur zum Thema durchzuschauen. Hat natürlich auch paar Kosten verursacht. Da lässt es einen einfach irgendwie nicht kalt, wenn man dann sieht, dass es ein bisle Onlinerecherche auch getan hätte. Es hinterfragt ja eh im Normalfall niemand. Wie gesagt, es macht mich einfach traurig.


    Es gäbe übrigens auch noch einiges zu Formulierungen zu sagen, aber da wirds dann wirklich beckmesserisch. Ein Beispiel möchte ich aber trotzdem geben, einfach nur um vielleicht auch den Blick auf sowas zu schärfen bei zukünftigen Artikeln:


    Zitat

    Und als ich mich als kleiner Junge zum ersten Mal für die Gespräche Erwachsener interessierte, fiel der Name im kleinen beschaulichen Vereinsheim doch ziemlich oft. Er war kein Spieler des FCK. Denn den Kader kannte ich auswendig, samt Nummern und Positionen aller Spieler. Er war wohl jemand aus dem Trainerstab.


    Genau genommen müsste man hier mit "doch" antworten. Aber so ist es natürlich nicht gemeint. Das wird auch aus dem Zusammenhang eindeutig klar. Ich will das gar nicht bemängeln. Aber akkurat wäre gewesen zu schreiben "er war kein aktueller Spieler des FCK". Sprache ist halt was ganz Verrücktes. Ich habe Texte gelesen, die waren so akkurat formuliert, dass ich diese mit viel Ehrfurcht betrachtet habe, denn es ist unheimlich schwierig, wortgenau ohne Interpretationsspielraum den Punkt zu treffen. Von daher möchte ich nochmal betonen, dass ich dies im Gegensatz zur mangelhaften Recherche nicht kritisieren, sondern lediglich die Aufmerksamkeit auf sowas lenken möchte, um vielleicht Denkanstösse zu geben oder so.


    So und damit wie versprochen ist das Thema für mich erledigt. Sry, dass es mir so nachgegangen ist, dass es mal raus musste. Die Arbeit von Mathias ist sicher trotzdem mit viel Herzblut und im Rahmen der Möglichkeiten entstanden und ist deshalb auch zu würdigen. Daher sorry für die negativen Anmerkungen.

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