Es läuft die erste Minute der Nachspielzeit des 29. Spieltags. Der FCK führt in Osnabrück mit 1:0 und fährt gerade einen Konter über die rechte Seite. Marlon Ritter blickt ins Zentrum und sieht dort Kenny Prince Redondo in den Strafraum eilen. Dieser Redondo, der zu diesem Zeitpunkt 90 Minuten lang Fußball regelrecht gearbeitet hat, zieht einen langen Sprint aus der eigenen Hälfte in höchstem Tempo bis vor das gegnerische Tor, wie ihn in dieser Form wohl kein anderer Spieler der Mannschaft hätte ziehen können. Der 27-jährige scheitert nach Ritters perfekter Vorlage letztlich am Osnabrücker Keeper. Diese Szene steht sinnbildlich für Redondos Leistungen in dieser Saison: Ein hoher Aufwand, aber verhältnismäßig wenig Ertrag und eine geringe Effektivität, zumindest wenn man seine Leistungen an Toren und Vorlagen bemisst. Trotz der geringen Scorer-Werte hat der Offensivspieler einen enorm hohen Wert für das Team, der auf den ersten Blick nicht ganz ersichtlich ist.
Ist Redondo überhaupt ein Stürmer?
Als Marco Antwerpen zum Hinspiel gegen Waldhof Mannheim die defensive Grundformation von Dreier- auf Viererkette modifizierte, stellte das die klassischen offensiven Außenbahnspieler, wie beispielsweise den damals noch nicht verliehenen Marius Kleinsorge oder eben Kenny Prince Redondo, zunächst vor ein Problem. In Antwerpens neuem System gab es ihre angestammte Position nicht mehr. Am ehesten passten zu den Flügelflitzern noch die offensiven Halbraumpositionen im 3-4-2-1. Für das häufig praktizierte 3-1-4-2 mussten sie ihren Spielstil allerdings komplett anpassen. So bekleidet Redondo seit einigen Monaten eine für ihn weitgehend neue Position: Stürmer. Und zumindest bis zur Verpflichtung des neuen Sturmführers Terrence Boyd, die sich zeitlich mit einer Corona-Infektion Redondos überschnitt, hatte der Deutsch-Spanier einen Stammplatz inne.
Spürbare Defizite in einigen Bereichen
Konnte der ehemalige Fürther diesen Stammplatz nur aufgrund mangelnder Alternativen über Wochen beibehalten? Tatsächlich waren seine Auftritte in der Phase zwischen dem Saarbrücken-Derby und der Boyd-Verpflichtung nicht konstant gut. Der Kicker, der bei der Leistungsbewertung traditionell eher kritisch ist, sieht Redondo seit November zwischen den Noten 2,5 und 4,0 pendeln. Heißt: Keine unterirdischen Auftritte, allerdings auch keine herausragend guten, bei denen er für alle Zuschauerinnen und Zuschauer ersichtlich der beste Mann auf dem Platz gewesen wäre. Dies liegt zum einen an der geringen Effektivität Redondos. Schon häufig zeigte sich in dieser Saison, dass er eben kein gelernter Stürmer ist. Lediglich einen Treffer erzielte Redondo bisher, obwohl er in dieser Spielzeit bereits zu einigen weiteren sehr guten Gelegenheiten kam. Sein xG-Wert* liegt aktuell bei etwa 3,5. Er hätte also, bemessen an den statistisch erwarteten Toren, mindestens zwei Treffer mehr erzielen müssen. Darüber hinaus gelangen ihm nur 38% seiner Dribblings und auch seine Passquote ist mit 68,3% eher unterdurchschnittlich. Zum Vergleich: Bei Sturmkollege Daniel Hanslik kommen 77% der Pässe wie gewünscht beim Mitspieler an.
Zudem ist Redondo wohl auch aufgrund seiner suboptimalen Körpersprache nicht bei allen Fans der beliebteste Spieler. Zu häufig sinkt sein Kopf nach einer misslungenen Aktion nach unten, zu oft hadert er mit sich selbst oder dem Schiedsrichter. Ebenso nicht zuträglich für sein Ansehen in Fankreisen war mit Sicherheit seine durch Meckern eingehandelte gelb-rote Karte in der letzten Saison gegen den Halleschen FC. Und doch wird Redondo häufig zu kritisch bzw. zu negativ gesehen.
Redondos enorm hoher Wert für die Mannschaft
So kommt er nach 30 Spieltagen (das Türkgücü-Spiel bereits ausgenommen) auf ordentliche vier Torvorlagen. Darüber hinaus ist er gemeinsam mit Philipp Hercher der Spieler, der beim FCK die meisten Großchancen kreiert hat (6). Für die Offensive der Roten Teufel ist er zudem durch seine Spielweise, die schwierig zu verteidigen ist, sehr wertvoll. Durch seine enorme Geschwindigkeit und seine vielen Tiefenläufe schafft er häufig Räume, in die seine Kollegen stoßen können. Selbst wenn ein erlaufener Ball in die Tiefe letztlich nur in einem Einwurf resultiert, ist es dadurch möglich, das Spiel in eine Zone näher des gegnerischen Tores zu verlagern. Des Weiteren verhält sich Redondo häufig sehr geschickt in den Zweikämpfen, sodass er viele Freistöße für sein Team herausholt (2,24 pro 90 Minuten). Unter allen Stürmern der 3. Liga wird nur Verls Kasim Rabihic häufiger gefoult. Immer wieder legt er eine hohe Cleverness an den Tag, um ruhende Bälle zu generieren. Oder anders betrachtet ist Redondo aufgrund seiner Schnelligkeit schlicht nicht mit anderen Mitteln aufzuhalten. So oder so, für eine derart standard- und kopfballstarke Mannschaft sind diese vielen durch ihn erarbeiteten Freistöße Gold wert.
Zusätzlich hat sich Kenny Prince Redondo in den letzten Monaten auf dem Spielfeld zu einem der fleißigsten Arbeiter gemausert. Leider liegen für die 3. Liga keine Laufdaten vor, jedoch lässt sich sein betriebener Aufwand anhand einiger anderer Faktoren festmachen. So absolviert er pro 90 Minuten im Schnitt knapp sieben defensive Zweikämpfe und liegt damit in diesem Bereich auf Rang fünf aller Drittliga-Stürmer mit mindestens 500 Einsatzminuten. Von diesen defensiven Duellen kann er ordentliche 57,2% für sich entscheiden, womit er unter den Stürmern im oberen Drittel liegt.
Redondos Bewertung braucht einen Perspektivwechsel
Die Daten zeigen, dass Redondo durchaus einen hohen Wert für die Mannschaft hat. Aktionen wie absolvierte Defensivduelle, erlittene Fouls oder vorbereitete Großchancen fallen bei der Spielbetrachtung wahrscheinlich weniger auf als direkte Torbeteiligungen oder spektakuläre Grätschen auf der letzten Verteidigungslinie. Dennoch bietet Redondo mit seiner Art und Weise, wie er die für ihn ungewohnte Stürmerposition interpretiert, einen hohen Mehrwert für das Spielsystem von Marco Antwerpen. Dort wird er auch in den letzten Saisonspielen mit Sicherheit auf einige Einsätze kommen, je nachdem, welchen Stürmertypus das jeweilige Spiel beziehungsweise die jeweilige Spielsituation gerade erfordert. Und wer weiß: Vielleicht wird Redondo doch noch an einer ganz entscheidenden Szene beteiligt sein, wie zum Beispiel bei seinem Treffer zum 2:0 beim Derby in Saarbrücken, als er den Gästeblock zum Explodieren brachte. Dann dürfte ihm ein Platz tief im Herzen der Fans sicher sein.
Quelle: Treffpunkt Betze
* Ein xG-Wert beschreibt die Wahrscheinlichkeit eines Schusses, zu einem Tor zu führen. Daher liegt der Wert für einen einzelnen Schuss immer zwischen 0 und 1. Bei der Berechnung des Wertes werden u.a. der Ort des Torschusses, der Winkel zum Tor, die Bedrängnis der Gegenspieler, die Höhe des Balls und störende Spieler zwischen Abschlussposition und Tor berücksichtigt. Addiert man diese Werte (bspw. 0,77 für einen Elfmeter), ergibt sich daraus die Menge an zu erwartenden Toren eines Spielers bzw. einer Mannschaft.
Quelle: Treffpunkt Betze