ZitatAlles anzeigenSeit 2009 koordiniert die TU Kaiserslautern ein Projekt, bei dem die Evakuierung des Fritz-Walter-Stadions am Rechner simuliert wird. Es heißt „Regionale Evakuierung: Planung, Kontrolle und Anpassung (Repka)'. In ihren Notfallszenarien greift die Polizei auf Ergebnisse des Projektes zurück.
Wenn im Fritz-Walter-Stadion der Ball rollt, gibt es jedes Mal vorab eine Einsatzbesprechung der Polizei. Dabei wird immer - zumindest kurz - der Fall der Fälle durchgesprochen, zudem es hoffentlich nie kommt: die Evakuierung des Stadions. Jeder Polizist, der im Einsatz ist, hat dies im Hinterkopf. Die Polizei baut bei den Notfallszenarien auf ihre langjährige Bundesligaerfahrung und die Kenntnis über die Abmarschwege der Zuschauer. Sie baut aber auch auf die TU, genauer gesagt auf den Fachbereich Mathematik. Dessen theoretische Evakuierungspläne mit am Computer berechneten Fluchtwegen fließen in die Notfallszenarien ein.
Bei dem Projekt Repka werden realitätsnahe Evakuierungspläne für den Notfall entworfen. Die Daten liefern Zuschauer, die beim Verlassen des Stadions ihr Handy einschalten, das den Weg hinunter vom Betzenberg aufzeichnet und elektronisch die Strecke zur Auswertung weiterleitet. Die Theorie am Computer wird abgestimmt mit den Praktikern, die vor Ort im Einsatz sind. In schönem Verwaltungsdeutsch heißen die „Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben”. Dazu zählen Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienste, Technisches Hilfswerk, Gesundheitsamt und das Referat Recht und Ordnung der Stadt. Vertreter der Einrichtungen und Behörden kommen regelmäßig im Arbeitskreis Gefahrenabwehr zusammen, in dem Katastrophen- und Rettungsszenarien durchgespielt werden.
Vorsitzender des Arbeitskreises ist Polizeidirektor Thomas Brühl, Einsatzleiter bei Heimspielen des FCK. Er ist offen für die Berechnungen der Mathematiker. „Zu 90 Prozent stimmen unsere praktischen Beobachtungen mit den mathematischen Modellen überein”, betont Brühl. Danach gibt es beim Abmarsch der Zuschauer am Stadion zwei Engpässe: Einer ist an der Treppe, die hinunter zur Malzstraße führt, das andere Nadelöhr ist am Horst-Eckel-Tor an der Westtribüne. Von hier geht es in drei Richtungen: in die Hegelstraße, die Straße zum Betzenberg und den Treppenweg zum Waldschlößchen hinab. Die TU hat zudem herausgefunden, dass Stadionbesucher nur selten alleine unterwegs sind. Sie kämen meist mit Freunden oder Kollegen, zu neun Prozent in größeren Fangruppen, sagt Annette Spellerberg, Professorin für Stadtsoziologie.
Sollte das Stadion einmal evakuiert werden müssen, kommt den beiden Engpässen besondere Bedeutung zu. Die Berechnungen des Fachbereichs Mathematik sind dabei hilfreich: Dort wurde herausgefunden, dass Besucher des Stadions meist den kürzesten Weg nach Hause oder zu ihrem Auto nehmen. Katharina Gerhardt, Koordinatorin des Projektes, erläutert dies am Beispiel Horst-Eckel-Tor. Von dort liefen die meisten Zuschauer, die zum Waldschlößchen wollen, den Treppenweg hinab. Nach Spielen komme es dort zu Staus, gehe es langsam voran, Stadionbesucher liefen teils neben den Treppen im Wald. „Eben weil es der kürzeste Weg ist”, sagt Gerhardt. Kaum jemand komme auf die Idee, die Straße Zum Betzenberg hinunter zu laufen, obwohl dies nicht viel weiter und man eventuell schneller am Waldschlößchen sei.
Übertragen auf das Notfallszenario bedeutet dies: Sollte es je zu einer Evakuierung kommen, muss an die Gabelung vor der Westtribüne ein Polizist, der die Fußgängerströme dirigiert. „Ein Mann mit einer lauten Stimme” reiche schon aus, eventuell bekomme er ein Megaphon, erklärt Brühl. Ebenso müsse an der Malzstraße oben ein Posten stehen, der Zuschauer in die Kantstraße umleite.
Der Fachbereich hat letzte Saison beim Spiel gegen Nürnberg am 16. April die Daten von rund 100 Stadionbesuchern ausgewertet. In dieser Saison ist er bei jedem Heimspiel des FCK dabei, die Teilnahme ist eher spärlich. 20 bis 30 Teilnehmer gibt es pro Spiel, sagt Stefan Ruzika, Juniorprofessor im Fachbereich Mathematik. Dies soll sich ändern. Es werde mehr Werbung gemacht, gebe ein Gewinnspiel, es seien Infostände im Stadion, sagt Ruzika. Am Ende der Saison habe man sicherlich einige Hundert aufgezeichnete Routen, das sei ausreichend, um wissenschaftlich fundierte Aussagen zu treffen.
Und wenn es wirklich mal zu einer Evakuierung kommt? Was nutzt all die Theorie, wenn dann Zuschauer in Panik geraten und blindlings aus dem Stadion flüchten? Das sei nicht anzunehmen, sagt Annette Spellerberg. Bei Notfällen reagierten die Menschen durchaus vernünftig, seien sehr wohl ansprechbar und nicht in blinder Panik.
Quelle: DIE RHEINPFALZ
Pfälzische Volkszeitung