Buback, Becker, die Justiz und das drumherum

  • Hm, wie fang ich an. Naja ich machs kurz und einfach. Ich arbeit momentan am Thema. Auch wenn ich aus diesem Thread jetzt keinen Nutzen ziehn kann, würde mich unabhängig davon doch interessieren, welche Meinungen es dazu gibt.


    Ich setz einfach mal ein paar Links hier rein, damit man weiss um was es überhaupt geht.


    http://blog.zdf.de/3sat.Kultur…im-verena-becker-prozess/
    http://www.stern.de/politik/de…rroristinnen-1776364.html
    http://www.spiegel.de/politik/…and/0,1518,797010,00.html


    Hier noch eine Buchkritik zu "Verena Becker und der Verfassungsschutz"
    http://www.taz.de/!59629/
    Das Buch is auch durchaus interessant, jetzt mal unabhängig davon inwieweit die zusammengetragenen Indizien für den Einzelnen glaubwürdig erscheinen.


    Würd mich also über Meinungen freuen, auch in der Hoffnung dadurch vielleicht noch auf einige Anregungen für meine Arbeit zu erhalten. Ausserdem lenkts mich vom FCK ab, was momentan vielleicht auch besser ist ;)

    Einmal editiert, zuletzt von tja-heinz ()

  • Was heißt du arbeitest an dem Thema, wenn ich fragen darf? Abschlussarbeit fürs Studium?


    Also generell finde ich das Thema sehr interessant, es ist Teil der deutschen Geschichte, aber auch vor meiner Zeit. ;) Trotzdem kann ich da eigentlich nicht sagen, dass ich irgendeine Meinung hätte, da der Fall schon Jahre zurückliegt und ich nicht alle Informationen aus dem Fall kenne.


    Grundsätzlich frage ich mich aber wie in ein solcher Fall noch einmal vernünftig nach so langer Zeit aufgerollt werden kann. Welcher Mensch hat ein so gutes und vor allem nicht verklärendes Gedächtnis? Bei vielen setzt das schon nach wenigen Wochen ein und ich kann mir wirklich nur schwer vorstellen, wie sich die wahrscheinlich Tatbeteiligte, aber auch Zeugen noch an das Geschehen erinnern können. Irgendwie kann doch da nichts vernünftiges bei rauskommen?

    Dehäm is dehäm: Wer reist, lernt das umso mehr schätzen.

  • Abschlussarbeit isses noch net (aber die wird sich ebenfalls um terroristische Gruppen im 19. und 20. Jh. drehn), aber ja, ich arbeit im Rahmen vom Studium dran.


    Ansonsten seh ichs ähnlich wie du, das eine Aufklärung heut noch schwieriger ist wie damals aufgrund dessen, das sich Dinge im Gedächtnis sozusagen immer "subjektiv" einprägen. Aber auch ohne die möglichen Zeugen, welche zum Grossteil eh von der Bundesanwaltschaft abgelehnt werden, hat das ganze nen sehr faden Beigeschmack. Ich denk, das Ganze hätt vielleicht mehr Aufmerksamkeit erzeugt, wenn es nicht in den Zeitraum der sogenannten "Zwickauer Terrorzelle" gefallen wäre. Die Thematik ist dabei sogar nahezu identisch. In beiden Fällen ist die Rolle des Verfassungsschutzes mehr wie unklar. Und selbst wenn der Prozeß wie zu erwarten keine neuen Erkenntnisse bringt, sind die Indizien erdrückend und sprechen für sich. Trotzdem sind es halt immernoch nur Indizien. Ich denk allein aufgrund dessen ist es schwer das Ganze überhaupt zu bewerten.


    Aber sind wir ehrlich. Unser bürokratischer Staat vernichtet 17 Jahre nach einem ungeklärten Mordfall alle Beweisakten dazu, offiziell aus Platzgründen. Und das im Zeitalter moderner Sicherungsmethoden.


    Verena Becker wurde 2 Monate später festgenommen und schoss mit der Tatwaffe des Karlsruher Anschlags bei ihrer Festnahme. Zudem hatte sie und Günther Sonnenberg den fehlenden Schraubenzieher des Tatmotorrads bei sich. Das allein lässt sicher nicht den Rückschluss auf eine Tatbeteiligung zu, aber diese Möglichkeit wurde nicht mal in Betracht gezogen und es wurde nicht mal eine Untersuchung in dieser Richtung gestartet. Wohl auch bedingt dadurch, dass man aufgrund des § 129a Stgb eine Möglichkeit geschaffen hat, Täter für die Zugehörigkeit zur RAF zu verurteilen und somit nicht mehr auf eine genaue Zuordnung der Taten angewiesen war. Find ich teilweise auch verständlich, da ich glaube, dass eine personengenaue Zuordnung in vielen Fällen eh unmöglich gewesen wäre und somit die Prozesse noch mehr den Eindruck einer Farce gehabt hätten, wie das teilweise eh schon der Fall war. Ein ruhmreiches Stück deutscher Justizgeschichte war die RAF in den 1970er Jahren nie. Aber das weicht vom Thema ab.


    Ebenso hinzuweisen wäre auf den Mord an Ulrich Schmücker, der von Mitgliedern der Bewegung 2. Juni als Verräter ermordet wurde. Auch hier hat der Verfassungsschutz seine Finger drin, genau die selben Personen wie bei Becker (hier wären Peter Urbach und Michael Grünhagen zu nennen). Nicht nur, das der Verfassungsschutz die Waffen beschafft hat. Es folgen 4 Prozesse zu dem Fall, die alle im Sand verlaufen, teils weil die Tatwaffe verschwunden war und erst 15 Jahre später sich in einem Tresor des Verfassungsschutzes wiederfand oder weil andere Beweismittel verschwunden waren. Naja, zurück zum Fall Becker.


    Wolfgang Schäuble hat die Akte Becker letztes Jahr während des Prozesses dauerhaft sperren lassen, weil die Inhalte das Wohl der Bundesrepublik gefährden würden. Dies müssen wirklich hochbrisante Informationen sein, wenn nach Auflösung der RAF und nach über 30 Jahren weiterhin eine Gefahr für die BRD davon ausgeht.


    Desweiteren wurden Zeugenaussagen offensichtlich gar nicht beachtet. Ein Jugoslawe (Augenzeuge) spricht sogar vor laufenden TV-Kameras am Tag des Anschlags von einer zierlichen Gestalt auf dem Sozius des Motorrads, möglicherweise einer Frau. Einen Tag später fahndet man trotz solcher Aussagen nach 3 Männern. Hier wird sogar nachgehakt von den Medien, worauf die Antwort gegeben wird, wenn man sich die Verdächtigen anschaut, erscheint es durchaus möglich, das einer als Frau wahrgenommen wird. Auch diese Aussage wurde vor laufender Kamera so getätigt.


    Verena Beckers Aufenthalte in deutschen Gefängnissen ist nur lückenhaft dokumentiert. Teilweise lässt sich nicht mal mehr nachvollziehn, in welchem Gefängnis sie wann eingesessen hat. Und die Daten die ersichtlich sind, widersprechen sich teilweise oder sind unglaubwürdig. So hat Becker eine offene Tuberkulose ohne ärztliche Versorgung (angeblich auf eigenen Wunsch) innerhalb weniger Wochen auskuriert und wurde dafür verlegt. Wohin kann keiner sagen, die Vermutung liegt jedoch nahe, dass sie halt ausgeführt wurde, um vom Verfassungsschutz bearbeitet werden zu können. Die Überwindung der Krankheit innerhalb so kurzer Zeit wird aus medizinischer Sicht jedenfalls als Wunderheilung beurteilt.


    Dieses Indiz wird auch dadurch bekräftigt, das Becker im Gegensatz zu anderen Gefangenen Rechte genoss, die zumindest ungewöhnlich anmuten. So war es ihr erlaubt Meinhof täglich zu besuchen zum Austausch. Bei Ensslin durfte sie sogar übernachten. Dies mag natürlich auch Zufall sein, da aber inzwischen erwiesen ist, dass sie für den Verfassungsschutz gearbeitet hat, erscheint dies doch zumindest fraglich.


    Der grosse Knackpunkt an der Sache ist also nicht die Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz an sich, sondern der Zeitpunkt, ab dem diese Zusammenarbeit stattfand. Die heute zugänglichen Stasiakten sprechen schon 1971 von einer Einflussnahme des Verfassungsschutzes. Wenn sich dies als wahr herausstellt, läuft es eben drauf hinaus, das ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes möglicherweise den höchsten Anwalt des Staates ermordet hat. Zu diesem Schluss ist auch der Sohn Bubacks gekommen, der die Akten soweit möglich akribisch durchforstet hat und auch dabei auf starken Widerstand gestossen ist und scheinbar auch während des Prozesses noch stösst.
    Dies beginnt schon damit, das die Akteneinsicht sich mehr als schwierig gestaltet, da Akten existierten, die nirgends verzeichnet waren und eigentlich gar nicht existieren dürften.


    Ich könnt das jetzt noch weiter fortführen und vor allem ausführlicher darlegen, aber das würde den Rahmen sprengen. Daher hab ich jetzt mich drauf beschränkt nur mal einige der Indizien kurz aufzuführen, um einen groben Überblick zu verschaffen, möchte aber darauf hinweisen, dass dies erstens unvollständig ist und zweitens möglichst kurz formuliert, weswegen die angesprochenen Punkte teilweise näher zu erläutern wären. Und ich möchte auch drauf hinweisen, dass es sich eben nur um Indizien handelt, auch wenn diese in der Fülle doch sehr erdrückend wirken. Ein abschliessendes verbindliches Urteil sind sie trotzdem nicht.


    Und nun der Prozeß. Liest man das, was Buback so in seinem Blog schreibt, erhärtet sich der Eindruck eben, dass die Justiz an einer Aufklärung gar nicht interessiert ist, wohl auch weil dann Dinge zu Tage treten könnten, die je nach Sichtweise wohl besser nicht zu Tage treten sollten. Es stellt sich in dem Zusammenhang halt aber auch die Frage, ob man solche Dinge nicht einfach ruhen lassen sollte nach so langer Zeit oder ob Buback ein Recht auf Aufklärung hat. Zum einen kann man natürlich sagen, man sollte so Dinge nach so langer Zeit endlich ruhen lassen, zum anderen lässt sich das einfach sagen, wenn es nicht der eigene Vater war, der ermordet wurde.


    Gut. soweit erstmal von mir, um noch ein paar Infos zum Thema zur Verfügung zu stellen. Das der Verfassungsschutz nicht deswegen, sondern wegen den Enthüllungen zur Zwickauer Terrorzelle in den Blickpunkt der Öffentlichkeit rückte, ist wohl Ironie des Schicksals. Die möglichen Vorwürfe jedenfalls sind nahezu identisch.

  • Danke für die Infos! Find's auf jeden Fall sehr interessant, auch wenn ich da nicht wirklich mitreden kann. ;)


    Wo gehört das denn studiumstechnisch hin? Politikwissenschaft oder im Rahmen eines Jura-Studiums?

    Dehäm is dehäm: Wer reist, lernt das umso mehr schätzen.

  • Würde zwar zu beidem gut passen, vor allem letzterem. Bei mir isses aber im Rahmen des Geschichtsstudiums. In dem Fall ist das Hauptthema die 1970er Jahre und ich war halt so naiv und hab die RAF zum Thema gemacht, auch wenn ich inzwischen von der Fülle an Veröffentlichungen zum Thema selbst erschlagen werd. Trotzdem hochspannend teilweise und es wird einem schnell klar, das das Allgemeinwissen zum Thema doch nur sehr oberflächlich ist.


    Mal davon abgesehn, dass ich gemerkt hab, wie essentiell es teilweise ist, nicht nur die RAF zu betrachten, sondern allgemein die Veränderungen in der BRD während der sozialliberalen Koalition in den 70ern (ich nenn hier mal nur die Reformen Willy Brandts und den berühmten Satz "mehr Demokratie wagen zu wollen"). Vieles in unserem Staat fällt eben auf diese Zeit zurück, als Beispiel nenn ich nur mal die heutigen Polizeistrukturen, die erst als Folge des Terrorismus angepasst wurden und die Polizei geschaffen haben, wie wir sie heute kennen. Die Polizei war vorher eher nach Weimarer Vorbild zur Niederschlagung von Bürgerkriegen ausgelegt, was sich u.a. auch in den Reaktionen auf die Studentenproteste zeigt (Schahbesuch), allerdings gibt es auch schon vorher andere Beispiele, die dies belegen. Aber gut. Das führt jetzt alles vom Thema weg, gibt sicher viel wissenswertes dazu noch zu schreiben. Aber is halt auf so einer Plattform in der nötigen Kürze immer schwer und vor allem läuft man schnell Gefahr, dem Leser nicht alle wichtigen Infos zur Verfügung zu stellen bzw. stellen zu können.


    Edit: eine Anmerkung aber noch. Die meisten Akten zu dieser Zeit sind eben jetzt erst einsehbar, weil die 30 Jahre "Verwahrungspflicht", oder wie auch immer das genau heisst, enden und das Ganze jetzt erst Einzug in historische Forschungen hält. Somit werden die 70er Jahre eben jetzt gerade für den Historiker nochmal interessant, da zusätzliche Quellen verfügbar sind und somit auch für die RAF.

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