Das Jahr 2012 brachte zahlreiche Meldungen zu rechten
Parolen in den Stadien, Angriffen gegen antirassistische Fans und
Verbindungen der Fan- zur Naziszene. Gegenüber
früheren Jahren lassen sich einige besorgniserregende neue
Tendenzen beobachten. Das Jahr 2013 schließt an diese Tendenz
an: Mit dem Rückzug der antirassistischen Aachen Ultras aus
der Kurve beugt sich eine Fangruppe gewalttätigen
Übergriffen.
Mit Beginn des neuen Jahres bietet es sich an, hinsichtlich der Aktivitäten, die Nazis und rechte Fußballfans im Stadion 2012 entwickelt haben, ein Resümee zu ziehen. Das vergangene Jahr war in dieser Beziehung kein ruhiges, das lässt erahnen, welche Konflikte auch 2013 (wieder) verstärkt auftauchen könnten und mit dem Rückzug der Aachen Ultras
aus der Kurve ist zu Beginn des Jahres bereits ein erstes negatives
Signal gesetzt worden. Der genauere Blick auf einige der
Vorfälle des Jahres 2012 zeigt die Veränderungen in
der Art der Auseinandersetzungen.
Klare Worte der Kölner Ultras Coloniacs an Aachen, 2011 (Foto: http://www.coloniacs.com/) |
Das Stadion als Wohlfühlraum
Allgemein erstaunt das
Erstaunen, das heißt die (möglicherweise
geheuchelte) Verwunderung darüber, dass sich Nazis und andere
Menschen mit rechter Gesinnung im Stadion wohlfühlen bzw. es
wagen, dort aufzutauchen. Im Fußballstadion sind bestimmte
Teile der Gesellschaft abgebildet, aber mitnichten die ganze
Gesellschaft. Allein die prozentuale Vertretung von Frauen
entkräftet bereits die Sichtweise auf Fußball als
Spiegelbild der Gesellschaft. Dass sie trotzdem immer wieder
vorgebracht wird, zeugt eher von Wunschdenken als
Realitätsbeschreibung. Aber wenn Studien wie die der Friedrich-Ebert-Stiftung darstellen,
dass hohe Prozentzahlen in der Bevölkerung Teile oder gar ein
komplettes rechtes Weltbild unterstützen, so darf sich nicht
ernsthaft jemand wundern, dass diese Sichtweise auch im Stadion
auftaucht. Gerade an jenem Ort, der nach landläufiger Meinung
immer noch als einer der wenigen gilt, an dem man sich (mithilfe von
Alkohol) so richtig gehen lassen kann, an dem noch (fast) alles erlaubt
sei. Und da soll es verwundern, wenn sich gerade hier auch Nazis
tummeln?
Die Empörung ist
also möglicherweise eher so zu deuten, dass die
Empörten von sich selbst und anderen
„guten“ Fans enttäuscht sind. Dass das
Stadion (weiterhin) ein Ort ist, an dem sich Nazis wohlfühlen,
liegt wohl auch daran, dass so manche Verhaltensweisen von Fans eben
auch von Nazis und rechten Fans ohne Abstriche geteilt werden. Dazu
gehört etwa die weit verbreitete Homophobie oder die
Glorifizierung von Männlichkeit in der Kurve. Aber auch der
demonstrativ zur Schau getragene und als Identifizierungsklammer so
wichtige Regionalismus, der dazu führt, dass die gegnerischen
Fans mitunter nicht mal mehr als Menschen wahrgenommen
werden. All dies steht gerade nicht im Widerspruch zu
menschenverachtenden Ideologien, sondern bietet
Anschlussmöglichkeiten.
Rückeroberung
der Kurven?
Spätestens mit
dem Beginn der Saison 2012/13 häuften sich die Meldungen von
Vorfällen und Auseinandersetzungen, die auf rechte
Fußballfans zurückzuführen waren. Von der
Presse aufgegriffen wurden Ereignisse in Aachen, Dortmund, Bremen und Braunschweig. Bereits im Januar
2012 gab es einen ersten Vorfall bei einem Hamburger Hallenturnier, als
Lübecker Fans gezielt das „Kein Mensch ist
Illegal“-Transparent aus der St.-Pauli-Kurve holten und es zu
diskriminierenden Schmährufen und gewalttätigen Auseinandersetzungen kam.
Die Beispiele Aachen und
Braunschweig zeigen, dass die Auseinandersetzungen auch wieder im
eigenen Verein bzw. der eigenen Fanszene stattfinden. Neben dem
spürbaren Rückgang von offenem Rassismus im
Profifußball in den letzten 15 Jahren gab es ebenso eine
Abnahme von gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Fans
eines Vereins. Es gab zwar Ausnahmen, wie etwa in Bremen beim Angriff
auf den Ostkurvensaal, aber die
ständige Bedrohung für Fans, die sich gegen
Diskriminierung wenden, war nicht mehr so vorhanden wie in den
1990er-Jahren.
Letzter Aufrtritt der Aachen Ultras, Viktoria Köln Alemannia Aachen, 12. Januar 2013, Foto: strassenstriche.net (flickr) |
Die Vorfälle
beschränkten sich zumeist auf Angriffe von rechten Fangruppen
auf vermeintlich linke Gruppierungen anderer Vereine oder es waren
symbolische Präsentationen von rechten Positionen bzw.
Provokationen. Dies scheint sich nun wieder geändert zu haben.
Dabei stellen sich auch die Vereine nicht immer sonderlich klug an,
wenn die Konflikte deutlicher ausbrechen. Und das obwohl die
Problematik mit Fans aus der Naziszene bei den meisten Klubs nun
wahrlich nicht neu sein kann. So sind z.B. Gruppen wie die Desperados
seit Jahren Thema in der Presse, über
„enge Verflechtungen zwischen Desperados, Autonomen
Nationalisten und Northside“ in Dortmund wurde gleichfalls
bereits vor Längerem berichtet. In Aachen spitzte sich
der Konflikt besonders krass und gewalttätig zu.
Die andauernden Angriffe auf die Aachen Ultras (ACU) und die fehlende
Unterstützung des Vereins Alemania Aachen für die ACU
mündeten aktuell in dem traurigen Höhepunkt des
Rückzuges der ACU aus der Kurve. Patrick Gorschlüter,
Sprecher des Bündnisses aktiver Fußballfans (BAFF), sagt: „Es ist
traurig und schockierend zugleich, dass sich eine Gruppe junger
Menschen, die sich gegen Diskriminierung einsetzt, vom eigenen Verein
derart im Stich gelassen wird, dass sie sich entfremdet und
enttäuscht zurückzieht.“
Interessant ist, dass die
aktuellen Vorkommnisse zumeist in West-Deutschland stattfanden. Das
widerspricht dem vorherrschenden Bild, es seien insbesondere
ostdeutsche Vereine, die ein Problem mit Nazis und rechten
Fußballfans hätten. Ein weiterer interessanter Punkt
ist, dass mit Aachen, Dortmund und Braunschweig Vereine betroffen sind,
die auch schon in den 1980er- oder 1990er-Jahren durch rechte Tendenzen
in Teilen der Fanszene aufgefallen sind. Und hier sollte man dann auch
aufmerksamer werden. Es ist richtig, dass offenes rassistischen
Verhalten im Gegensatz zu den 1980er- und 1990er-Jahren abgenommen hat.
Es wurde aber auch immer wieder von aufmerksamen Fangruppierungen und
Organisationen wie BAFF darauf hingewiesen, dass damit nicht notwendig
auch die Fangruppen, die für dieses Verhalten verantwortlich
waren, aus den Stadien verschwunden sind oder ihre Einstellungen
geändert haben. Genau diese Befürchtung scheint sich
jetzt zu bestätigen. Die Tabuisierung von Rassismus hat nicht
überall auch zu einem Umdenken in den Fanszenen
geführt. Dies bedeutet keinesfalls, dass die Situation so wie
in den 1980er-Jahren ist. Aber es zeigt ganz eindeutig, dass die
Bearbeitung des Themas nicht abgeschlossen ist. Die Bekämpfung
von Rassismus, Antisemitismus und anderen Diskriminierungsformen muss
weiterhin ein wichtiger Bestandteil der Arbeit von Fans, Vereinen und
Verbänden bleiben. Es gibt keinen Anlass, sich in der
derzeitigen Situation zufrieden zurückzulehnen.
Mangelnde
Abgrenzung der Fanszenen
Die „Pyrodebatte“ und
das „Sicherheitspapier“ der
DFL haben dieser Arbeit jedoch einen Bärendienst erwiesen.
Insbesondere die Ultragruppen fanden sich nach dem Abbruch der
Gespräche um die Pyrotechnik durch den DFB in einer
Auseinandersetzung wieder, in der es um den Beweis von Stärke,
Macht und Einfluss ging. Der von vielen Fans innerhalb und auch
außerhalb der Ultraszene angenommene breite Konsens von
Antirassismus stand nicht mehr so präsent im Vordergrund bzw.
schien auch nicht (mehr?) so verbreitet zu sein wie angenommen. Das
weitere Zündeln rief Polizeiaktionen und Reaktionen von
Vereinen und Verbänden hervor, die Auseinandersetzung
eskalierte weiter. Die Ultragruppen sahen sich in einer
verstärkten Auseinandersetzung mit den Institutionen.
Einerseits wurde ihre Arbeit dadurch verstärkt auf diese
Auseinandersetzung fokussiert und gedrängt, andererseits wurde
nach Bündnispartnern geschaut.
Das zeigte sich bei der
Kampagne gegen das Sicherheitspapier und der hier
federführenden Initiative 12:12. Dort beteiligen
sich nach Informationen von publikative.org mit den Desperados
Dortmund, Ultras Chemnitz, Saalefront Halle, Boyz Köln oder
der Karlsbande auch Gruppierungen, die keine Distanzierung
gegenüber rechten Fans oder organisierten Nazis in ihren
eigenen Reihen vornehmen. Es gab und gibt also für wegen ihrer
politischen Haltung – auch öffentlich – in
der Kritik stehende Gruppen, die Möglichkeit, in
vereinsübergreifenden Kampagnen
„Fanpolitik“ zu machen und so auch ihr Standing in
der Fanszene wieder aufzupäppeln. Das gilt etwa auch
für die Bushwhackers Düsseldorf,
die im letzten Jahr dadurch auffielen, dass ein Mitglied mit
Thor-Steinar-Kleidung bei einem Fanturnier
auftrat. Zudem bleiben ohne eindeutige Distanzierung nach
rechts auch positiv zu bewertende fanpolitische Anliegen leider
anschluss- und kampagnenfähig für Nazis. Versuche in
diese Richtung gibt es.
Auf der Straße in der Defensive – Nazis in Dortmund (Foto: Ruhrbarone) |
Fokus im Westen
Gerade in dem Bundesland,
in dem der Innenminister eine Vorreiterrolle im Kampf gegen Nazis
einnehmen möchte, dominierte der Konflikt um Nazis im Stadion
die Berichterstattung des letzten
Jahres. In Nordrhein-Westfalen befindet sich die Naziszene durch das
Verbot von Organisationen wie der Kameradschaft Aachener Land und des
Nationalen Widerstandes Dortmund aktuell in einer defensiveren Position
als noch vor einigen Jahren. Dass sich deren Akteure daher nach Orten
umsehen, wo sie sich präsentieren
können, ist naheliegend, ebenso dass sie dies bevorzugt dort
tun, wo sie auch schon seit Jahren anwesend sind, ist vorhersehbar.
Und hier macht sich ein
weiteres Problem bemerkbar: Bei Alemannia Aachen und Borussia Dortmund,
allerdings nicht nur dort, scheinen der Ordnungsdienste mit
der der Naziszene verquickt zu sein. So schreiben z.B. die von
Angriffen betroffenen Aachen Ultras: „Dass
die Personen dabei auf Unterstützung des Ordnungsdienstes
hoffen können, da vor unserem Block nun wiederholt ein
Gründungsmitglied der Kameradschaft Aachener Land als Ordner
‚arbeitete‘,“. Über das
Ordnerproblem bei Borussia Dortmund berichtete Spiegel Online,
der Verein hat den Betroffenen inzwischen suspendiert und eine Reihe von Maßnahmen
vorgestellt.
Irritiert sein muss man
auch über das Handeln vom NRW Innenminister Ralf
Jäger. Er generiert er sich als Hardliner gegen Neonazis,
indem er einige Organisationen wie die Kameradschaft Aachener Land oder
den Nationalen Widerstand Dortmund verbietet. Wobei anzumerken ist,
dass diese Verbote so lange medial angekündigt wurden, dass
bei den Durchsuchungen eigentlich nicht
viel Verwertbares gefunden wurde. Gleichzeitig
führte aber Jägers Agieren in der Debatte um das
Papier „Sicheres Stadionerlebnis“, als er mehrmals
nach vorne preschte und die Vorreiterrolle als Hardliner einnahm, zu
einem unschönen Nebeneffekt. So erzeugt er
Solidarisierungsmöglichkeiten für rechte Fangruppen,
um sich in die aktuelle Sicherheitsdebatte einzuklinken. Wenn pauschal
unter dem Label „Sicherheit“ gegen Fans agiert
wird, ohne zu differenzieren, was welche Gruppierung eigentlich macht
und gleichzeitig Themen wie Rassismus und Rechtsextremismus aktuell
vonseiten der Verbände eher vernachlässigt werden,
bleibt dies nicht folgenlos: Im Interview mit eurosport sagt
Fanforscher Gerd Dembowski über das Konzept der DFL:
„Neonazismus und Rassismus sind eine Fußnote.
Schlimmer noch, sie werden sogar mit Gewalt und Pyro
vermischt.“ Und weist daraufhin, dass der Druck auf
antirassistisch positionierte Fangruppen wächst.
Nur wenige explizit
antirassistische Fangruppen wie aus Babelsberg oder von St. Pauli sagen offen, dass sie
sich nicht an der Kampagne 12:12 beteiligen, weil sie eine Abgrenzung
von rechten Fangruppen vermissen. Auf Dauer kann dies dazu
führen, dass antirassistisch eingestellte Fangruppen an den
Rand der Fanorganisierung gedrängt werden. Schon jetzt
häufen sich die Rückmeldungen einzelner Fanszenen,
dass es ungemütlicher in ihren Kurven geworden ist, was die
offenere Präsenz von und Bedrohung durch Nazis angeht.
Wenn sich diese Tendenz verstärkt, würde sich der
Einfluss von Gruppen die sich gegen Diskriminierung stellen, und damit
der oft herbeigesehnte Effekt der „Selbstreinigung der
Kurve“, schwinden oder gar ganz wegfallen.
Kein Problem von außen
Verwundern tut auch
weiterhin die Darstellung der Problematik in den Medien. Gerne wird von
Unterwanderung gesprochen. In einem früheren Artikel habe ich
versucht auf die Problematik des Begriffs, der weiterhin vielfach
auftaucht, hinzuweisen. Dies beschreibt sehr deutlich, wie das Problem
wahrgenommen wird, nämlich als eines, das von außen
kommt. Aber was ist mit den Fans, die schon in den 1980er-Jahren in den
Kurven der Vereine waren? Waren diese nicht viel früher da,
als die Fangruppen die sich gegen Rassismus, Homophobie und andere
Diskriminierungsformen aussprechen? Und was bedeutet Unterwanderung?
Die Vereine werden in ihren Strukturen ganz sicher nicht unterwandert.
Das gelingt ja noch nicht einmal den Mitbestimmungsstrukturen der
Mitglieder, wie das Abstimmungsverhalten der Vereine bei der aktuellen
Sicherheitsdebatte deutlich zeigt. Offen bekennende Nazis werden im
Bedarfsfall relativ schnell ausgeschlossen.
Und in der Kurven?
Unterwanderung suggeriert, dass hier etwas organisiert und heimlich mit
Plan passiert. Diesen Unterwanderungsplan gibt es aber in der
derzeitigen Nazibewegung nicht. Es gibt keine Diskussionen darum, wie
die Fanszene am besten großflächig zu unterwandern
sei. Was es gibt, ist, dass rechte Fans und Nazis sich bei jeder sich
bietenden Gelegenheit präsentieren. Sie wollen ihren Raum. Der
an manchen Orten wie dargelegt auch dadurch wichtiger wird, da Nazis
auf der Straße gesellschaftlich gerade in der Defensive sind.
(Was in keinster Weise heißt, dass das Bedrohungspotenzial
für mögliche Opfer abgenommen hat!)
Großaufmärsche wie in Wunsiedel zum
Heß-Gedenken oder zum Jahrestag der Bombardierung von Dresden
sind jedoch derzeit nicht mehr durchzuführen. Die Debatte um
die NSU bringt die Naziszene weiter in die politische Defensive. Es gab
immer wieder Zeiten, in denen sich Nazis umorientieren mussten, weil
sie gerade nicht weiterkamen. So war ein Effekt aus den Erfahrungen ab
Mitte der 1990er-Jahre die Entwicklung von Kameradschaftsstrukturen,
die in die Gründung von Autonomen Nationalisten
mündete. Genau in diesem Kreis finden wir viele der Nazis, die
sich beim Fußball tummeln.
Um das Problem von
Diskriminierung beim Fußball und die
Präsenz von Nazis in der Kurve nachhaltig zu lösen,
ist in den Fanszenen ein breiterer Konsens gegen Homophobie, Sexismus,
Rassismus, Antisemitismus und Antiziganismus notwendig. Denn nur so
fühlen sich rechte Fußballfans dort nicht mehr wohl.
Quelle:
Florian Schubert (Mitglied des Bündnis
Aktiver Fußballfans, BAFF)
Der Artikel
(Rück-)Eroberung der Fankurven? ist im Original auf
publikative.org erschienen und wurde Treffpunkt Betze mit
freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.