ZitatAlles anzeigenHeute vor 30 Jahren kam der frühere DDR-Auswahlspieler Lutz Eigendorf bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Wirklich ein Verkehrsunfall oder ein Mordkomplott der Stasi? Norbert Thines, der als Geschäftsführer des FCK Eigendorf nach seiner Flucht in den Westen aufnahm, ist überzeugt: „Lutz wurde von der Stasi ermordet. “
Von Gerhard Dürnberger
Eigendorf verunglückte am 5. März 1983 mit seinem Wagen unter mysteriösen Umständen auf nasser Straße bei Braunschweig und starb zwei Tage später an seinen Verletzungen. Vier Jahre zuvor war er nach einem Freundschaftsspiel seines Clubs Dynamo Ostberlin auf dem Betzenberg geflüchtet und hatte sich dem FCK angeschlossen.
Norbert Thines, späterer Präsident und damals Geschäftsführer des FCK, erinnert sich noch genau an die Geschichte.Abends am 20. März 1979 spielte Dynamo Ostberlin auf dem Betzenberg, am nächsten Tag stand ein Mann in einem schwarzen Mantel vor dem Schreibtisch von Thines. Der fragte, wer er sei und was er wolle, der Unbekannte antwortete, er sei Lutz Eigendorf und wolle hierbleiben. Da erst erkannte Thines den DDR-Auswahlspieler, der sich in Gießen von seiner Mannschaft abgesetzt und mit einem Taxi nach Kaiserslautern gefahren war.
Thines musste zunächst den Taxifahrer bezahlen, denn Eigendorf hatte natürlich kein Westgeld. Dann galt es, den Spieler zu verstecken. „Die Nachricht von der Flucht Eigendorfs hat sich wie ein Lauffeuer verbreitet, die Stasi chauffierte mit zig Autos durch die Stadt“, erinnert sich Thines. Er brachte den Flüchtling in einer Pension in Trippstadt unter, kaum jemand wusste, wo er war. Eigendorf habe unter ständiger Aufsicht des westdeutschen Verfassungsschutzes gestanden, sagt Thines, der den damals 22-Jährigen später für einige Wochen bei sich zu Hause aufnahm.
Eigendorf vertraute dem damaligen FCK-Geschäftsführer und schloss sich nach einem Jahr Sperre durch die UEFA dem FCK an. Er blieb auch standhaft, als Eintracht Frankfurt lockte. Thines erinnert sich, dass die beiden Eintracht-Spieler Jürgen Pahl und Norbert Nachtweih, beide ebenfalls aus der DDR geflüchtet, mit einem Koffer voller Geld auftauchten und Eigendorf zum Wechsel nach Frankfurt überreden wollten. Die drei früheren DDR-Spieler saßen bei Thines im Partykeller, nach einer Viertelstunde sei Eigendorf hochgekommen und habe gesagt, er bleibe beim 1. FCK.
Eigendorf spielte bis 1982 auf dem Betzenberg, wechselte dann für 420.000 Mark Ablöse nach Braunschweig. Er sei ein ordentlicher Mensch und ein sehr guter Fußballer gewesen, sagt Thines. So habe er anfangs versucht, seine Frau in der DDR freizukaufen, habe später wieder geheiratet und mit seiner Frau ein Kind bekommen. Brisant sei seine Flucht deshalb gewesen, weil Dynamo Ostberlin der Club der Staatssicherheit der DDR war und Stasi-Chef Erich Mielke den Fall persönlich genommen habe.
Eigendorf habe in ständiger Angst gelebt, die Stasi werde ihn in die DDR entführen, habe deshalb mehrfach die Wohnung in Kaiserslautern gewechselt, aber zugleich Mielke immer wieder durch öffentliche Äußerungen provoziert und verspottet. „Ich habe ihm oft geraten, sich etwas zurückzunehmen“, erklärt Thines, der die Meinung vertritt, dass die Stasi Eigendorf nach den ständigen Provokationen ermorden ließ.
Nachdem Eigendorf ums Leben gekommen war, wurde er in Kaiserslautern beerdigt, seine Frau kehrte hierher zurück. Damit begann für Thines Kapitel zwei der Geschichte. Zur Beerdigung durften die Eltern Eigendorfs aus der DDR kommen – und kehrten ebenfalls nicht mehr zurück. Für Thines ging das Spiel von vorne los: eine Wohnung suchen, Jobs finden... Die Eltern von Eigendorf leben noch immer in der Stadt.
Der Fall hat für Thines noch ein drittes Kapitel. Die Geschichte von Lutz Eigendorf ist zu seiner ganz persönlichen Geschichte geworden. Über 50 Spitzel soll Mielke für die Observation seines abtrünnigen Fußballers abgestellt haben. Und Thines fürchtet, dass auch jemand aus seinem ganz persönlichen Umfeld angeworben wurde. Letztes Jahr hat er deshalb beim Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR Antrag auf Akteneinsicht bezüglich der Überwachung Eigendorfs durch die Stasi gestellt. Gehört hat er seit Monaten nichts, was ihm mittlerweile sogar recht ist.
„Ich möchte gar nicht wissen, wer da in den Akten alles als Informant auftaucht“, sagt Thines, und schließt nach 30 Jahren seine persönliche Akte Lutz Eigendorf.
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Zur Sache: Der Tod von Eigendorf
Lutz Eigendorf fuhr am 5. März 1983 mit seinem Alfa Romeo GTV 6 auf nasser Straße bei Braunschweig an einen Baum, zwei Tage später erlag er seinen Verletzungen. Bis heute ist die Ursache seines Todes ungeklärt.Eigendorf war auf dem Rückweg von seiner Stammkneipe Cockpit. Dort hatte er ein paar Bier getrunken.
Als in seinem Blut 2,2 Promille Alkohol nachgewiesen wurden, war der Fall für die Behörden schnell klar; obwohl mehrere Zeugen aussagten, er habe vor seiner Autofahrt weitaus weniger getrunken.Eine wissenschaftliche Arbeit, die sich mit dem Thema beschäftigt, kam zu dem Schluss, dass keine Obduktion vorgenommen und das Unfallauto nicht kriminaltechnisch untersucht wurde.
Gerüchte machten die Runde, die Stasi sei für den Tod verantwortlich, weil Stasi-Chef Erich Mielke dem „Beckenbauer des Ostens“ die Flucht nie verzeihen konnte. Der Journalist Herbert Schwan lieferte in einem Fernsehbeitrag Indizien für dunkle Machenschaften. Angeblich soll Eigendorf vergiftet worden sein.
2010 kam ein weiteres Detail ans Tageslicht. Stasi-Mitarbeiter Karl-Heinz Felgner sagte vor dem Landgericht Düsseldorf aus, dass er einen Mordauftrag für Eigendorf erhalten, ihn aber nie ausgeführt habe. (dür)
DIE RHEINPFALZ
Pfälzische Volkszeitung