Im Gespräch mit dem Fanprojekt: "Zentrum für Fankultur und Sozialarbeit soll entstehen"

  • Im Rahmen der diesjährigen FCK-Fanclub-Wintermeisterschaft trafen wir Christian Hirsch und Michelle Zinßmeister vom Fanprojekt Kaiserslautern. Im Gespräch mit "Treffpunkt Betze" sprechen die beiden Mitarbeiter über die Zusammenarbeit mit jungen Menschen und FCK Fans, über die Ziele ihrer Arbeit und über ein bevorstehendes Projekt, dass den Namen Tribüne ohne Grenzen trägt und bald veröffentlicht wird.



    Treffpunkt Betze: Stellt euch doch bitte zunächst einmal vor.


    Christian Hirsch: Ich heiße Christian Hirsch, 36 Jahre alt und leite seit dem Sommer 2013 das Fanprojekt in Kaiserslautern. Ich bin Diplom Sozialarbeiter und wohne in der von Nähe von Kaiserslautern. Ich bin selbst FCK Mitglied und schon von klein auf Fan vom Betze.


    Michelle Zinßmeister: Mein Name ist Michelle Zinßmeister, ich bin 26 Jahre alt und ich habe im vergangenen Sommer mein Studium der Sozialen Arbeit abgeschlossen. Im Fanprojekt bin ich seit dem 01. Oktober 2015 tätig.


    Treffpunkt Betze: Kommen wir zu Beginn zu einer grundlegenden Frage: Welchen Nutzen haben Fanprojekte heute überhaupt, welche Wirkung soll entfaltet werden?


    Hirsch: Fanprojekte sind in erster Linie sozialpädagogische Jugendeinrichtungen und konzentrieren sich auf die Arbeit mit jugendlichen Fußballfans im Alter von 14 bis 27 Jahren. Mittlerweile gibt es in Deutschland 58 Fanprojekte, mit Ausnahme von Stuttgart, Ingolstadt und Sandhausen auch in jeder Bundesligastadt. Jeder Verein hat ein eigenes Fanprojekt, wobei dies weniger mit Vereinsarbeit und der Tätigkeit eines Fanbeauftragten zu tun hat. Wir machen Angebote der Jugendhilfe, das heißt wir begleiten Jugendliche und junge Erwachsene zu Heim- und Auswärtsspielen, wir machen verschiedene Angebote in den Bereichen Kultur, Sport und Freizeit. Ein weiterer Schwerpunkt unserer Arbeit sind sozialpädagogische Angebote. Wenn beispielsweise junge Fußballfans mit Problemlagen auf uns zukommen, sei es in der Schule, im Elternhaus, auf der Arbeit oder während der Arbeitssuche, dann sind wir als Ansprechpartner da und können,unsere Angebote anzubieten. Das Thema Wirkung ist für uns ein herausforderndes, weil die Sozialarbeit auf das Thema Wirkung sehr schwer runter zu brechen ist. Die Wirkung unserer Arbeit ist voraussichtlich erst in ein paar Jahren ersichtlich. Uns ist es wichtig, dass unsere Angebote angenommen werden. Ein weiterer Effekt unserer Arbeit besteht darin, dass wir Jugendliche und junge Erwachsene auf dem Weg ins Erwachsenenleben begleiten. Wir können dabei nicht alle Probleme lösen, uns ist es vielmehr wichtig, dass wir kontinuierlich aktiv sind, dass wir ansprechbar sind wenn es „brennt“. Und wir wollen dabei Zuverlässigkeit demonstrieren, mit dem Ziel, dass Jugendliche wissen, dass sie im Falle von Problemlagen im Fanprojekt Halt finden können.


    Zinßmeister: Wir begleiten sozusagen Sozialisationsprozesse junger Menschen auf dem Weg ins Erwachsenenleben.


    Treffpunkt Betze: Wie gut werden eure Angebote denn inzwischen angenommen?


    Hirsch: Zurzeit haben wir eine feste Fanbasis von ca. 150 Personen, mit denen wir regelmäßig arbeiten. Dazu gehören überwiegend Fans aus der Ultraszene, aber auch nichtorganisierte Fans, die zu uns kommen und uns ansprechen. Wir versuchen aber auch mit offenen Angeboten grundsätzlich alle Jugendlichen anzusprechen. Wir haben beispielsweise kurz vor der letzten Weltmeisterschaft eine öffentliche Veranstaltung unter dem Motto "Brasilien 2014 – Was ist los im Land des Fußballs" gemacht, unser Fußballangebot jeden Montag ist für alle jugendlichen Fans offen, die in der FCK Szene unterwegs sind.


    Treffpunkt Betze: Eure aufsuchenden Angebote sind in der Regel damit verbunden, Vertrauen aufzubauen und positive Beziehungen zu führen. Wie gelingt euch das? Und arbeitet ihr dabei nach bestimmten sozialpädagogischen Ansätzen?


    Hirsch: Grundsätzlich ist der Spieltag der wichtigste Tag für uns. An Spieltagen begleiten wir Jugendliche in Bussen, Sonderzügen und teils auch mit einem 9-Sitzer, in dem wir Fans mitnehmen. Unter der Woche suchen wir Fangruppen auf, die sich in eigenen Räumen bewegen oder eigene Turniere und Partys veranstalten. Dabei ist die aufsuchende Sozialarbeit bzw. die Straßensozialarbeit unsere wichtigste Methode. Weitere Methoden sind die Gruppenarbeit, die Einzelfallhilfe, beispielweise auch in Verbindung mit unserer Initiative „Pro Ausbildung“.


    Zinßmeister: Pro Ausbildung ist eine Initiative, die wir zusammen mit der Arbeitsagentur Kaiserslautern eingegangen sind. Zusammen mit einem Berufsberater, der jeden Spieltag am Fanwagen hinter der Westkurve vor Ort ist unterstützen wir jugendliche Fans bei Fragen in Sachen Schulausbildung und beruflicher Ausbildung. Der Berater hilft uns hierbei, in dem er berät und Folgetermine verabredet. Wichtig hierbei ist, dass wir durch die Nähe zum Stadion sehr nah an die Lebenswelt der Jugendlichen heran treten und sich dadurch Anknüpfungspunkte ergeben. Es ist dementsprechend nicht nötig die Arbeitsagentur aufzusuchen, sondern es können direkt vor Ort Informationen eingeholt werden. Wir haben dadurch kurze und flexible Wege in Sachen Schule, Ausbildung und Beruf.


    Treffpunkt Betze: Gibt es bestimmte Personenkreise, die ihr vordergründig erreichen wollt?


    Hirsch: Wir sprechen vordergründig junge Menschen ab dem 14. Lebensjahr an, wir orientieren uns dabei am Kinder- und Jugendhilfegesetz. Der Hintergrund der Jugendlichen spielt keine Rolle.


    Zinßmeister: Dennoch würden wir beispielsweise einen dreizehn- oder achtundzwanzigjährigen Menschen nicht abweisen.


    Treffpunkt Betze: Ihr habt in den vergangenen Wochen Teile der ehemaligen Kartoffelhalle renoviert. Wie sehen die Räume aus, welche Möglichkeiten bieten sie euch und welche Angebote wollt ihr dort demnächst machen?


    Hirsch: Bei der Kartoffelhalle geht es um ein längerfristig angelegtes Projekt, deren Renovierung bis zu 10 Jahre dauern kann. Den Bereich, den wir in der Anfangszeit nutzen wollen konnten wir bereits entkernen. Wir haben einen Nutzungsvertrag für die Räume und erhoffen uns hierbei weiterhin Unterstützung seitens der Stadt Kaiserslautern, in der Hoffnung, die Räumlichkeiten im Jahr 2016 zeitnah nutzen zu können. Derzeit verfügen wir in unseren Räumen in der Pariser Straße lediglich über einen kleinen Aufenthaltsraum. Wenn wir Veranstaltungen machen, dann ist der Raum mit 30 Personen vor Ort komplett ausgelastet. In der Kartoffelhalle würden wir über eine knapp 800qm2 große Halle verfügen und könnten dort dementsprechend auch größere Veranstaltungen wie Feiern, Konzerte oder Lesungen anbieten. Es würde dadurch ein tolles neues Zentrum für Fankultur und Sozialarbeit im Raum Kaiserslautern entstehen, der für alle jugendlichen FCK Fans zugänglich ist.


    Treffpunkt Betze: Sportliche Rückblicke gab es in den vergangenen Tagen genug – wenn du auf das Jahr 2015 zurück blickst, was waren in eurer Arbeit die besonderen Erlebnisse aber auch Herausforderungen?

    Hirsch:
    Im ersten Halbjahr des Jahres 2015 waren wir personell schwierig aufgestellt, da ich in Elternzeit war und mein Kollege Stefan das Fanprojekt allein leiten musste. Seit dem zweiten Halbjahr sind wir personell sehr gut aufgestellt, seit Michelles Einstieg arbeiten wir zu dritt. Des Weiteren unterstützt uns Flo als Honorarkraft. Einen großen Teil unserer Zeit haben wir in die Renovierung der Kartoffelhalle aber auch besonders in die Vorbereitung unserer Projekte und Angebote für das Jahr 2016 investiert.


    Treffpunkt Betze: Welche Themen aber auch welche Ziele stehen auf eurer Agenda 2016?


    Hirsch: Wir haben noch einiges vor in diesem Jahr. Durch die personelle Aufstellung können wir jetzt an Projekten arbeiten, die vorher notgedrungen in der Schublade liegen bleiben mussten. Wir werden ab Ende Januar in ein größeres Projekt einsteigen, welches neben unseren täglichen aufsuchenden Angeboten, den Einzelfallhilfen und der Spieltagsbegleitung einen kontinuierlichen und großen Stellenwert erhalten wird. Das Projekt trägt den Namen "Tribüne ohne Grenzen", mehr möchten wir an dieser Stelle aber noch nicht verraten, ihr werdet demnächst in offiziellen Veröffentlichungen mehr darüber hören.


    Treffpunkt Betze: Blicken wir auf ein weniger schönes Thema: Immer wieder kommt es bei Fans zu schwierigen und teils gewalttätigen Auseinandersetzungen mit anderen Fangruppen, der Polizei und manchmal sogar auch mit eigenen Fans. Seid ihr an der Schlichtung solcher Konflikte beteiligt?


    Hirsch: Wir agieren in solchen Fällen als Vermittler. Wir hatten vor kurzem einen Fall, bei dem eine Fangruppe ihre eigenen Räume aufsuchen wollte. Die Polizei wiederum ging davon aus, dass sich diese Fangruppe in Richtung der Osttribüne bewegt um auf die gegnerische Fangruppe zu treffen. An dieser Stelle gelang es uns zwischen der Fangruppe und der Polizei zu vermitteln. Es ging darum, dass die Fangruppe ihr Recht wahrnehmen darf und die Polizei in die Lage versetzt wird, diesen Prozess auch nachvollziehen zu können. Wir vermitteln aber auch mit dem Verein, wir sind beispielsweise im Vorfeld von Risiko-Spielen wie gegen den Karlsruher Sportclub an Sicherheitsgesprächen beteiligt und vertreten dabei die Sicht der der Fans. Wir nehmen eine präventive Haltung und Rolle an. Es gibt aber auch Fälle oder Konflikte, bei denen wir von außen angefragt werden und dann unsere vertrauensvollen Beziehungen zu den Jugendlichen nutzen, um zwischen den einzelnen Parteien zu vermitteln.


    Treffpunkt Betze: Stichwort Vernetzung. Weiten wir mal den Blick auf die Zusammenarbeit mit anderen Organisationen. Gibt es bundesweite Kooperationen? Seid ihr mit anderen Fanprojekten vernetzt und wie profitiert ihr davon?


    Hirsch: Zunächst einmal verfügen wir über einen Beirat, dies ist ein öffentliches Gremium für alle beteiligten Akteure. Dort sitzen Fans, Vertreter der Polizei, des Landes, der Stadt Kaiserslautern und unseres Trägers. Die Vernetzung mit anderen Fanprojekten ist grundlegend wichtig, da im Fußballsport unterschiedliche Phänomene kursieren und natürlich auch in anderen Städten und Stadien immer wieder auftreten. Für uns ist der Austausch mit anderen Projekten sehr wichtig, um zu verstehen, was derzeit im Konkreten passiert, welches Phänomen derzeit besonders stark auftritt, ob Gewalt oder andere Dinge, die eventuell auch bei uns im Stadion auftreten könnten. Wir nutzen den Austausch um gemeinsam zu überlegen, welche Handlungsmöglichkeiten wir haben.


    Treffpunkt Betze: Gibt es auch eine direkte oder indirekte Zusammenarbeit mit dem Verein?


    Hirsch: Wir verfügen über kurze Wege zum Verein. Wenn wir Gesprächsbedarfe haben, dann wenden wir uns zunächst an die Fanbeauftragten. Darüber hinaus sind wir Teil der Stadionverbotskommission und verfügen dadurch auch über gute Kontakte zur Sicherheitsabteilung und der Geschäftsführung des Vereins. Wir empfinden die Zusammenarbeit mit dem Verein als gut und konnten bisher für alle Problemlagen gemeinsame Lösungen finden.


    Treffpunkt Betze: Andere Fanprojekte sind mit dem Lernort Stadion seit vielen Jahren aktiv und erfolgreich. Gibt es solche Planungen auch für den Standort Kaiserslautern?


    Hirsch: Momentan verfolgen wir einen solchen Plan nicht. In den vergangenen Jahren waren solche Projektvorhaben für das Fanprojekt aufgrund der personellen aber auch finanziellen Aufstellung nicht möglich. Einer unserer Schwerpunkte liegt derzeit im Projekt "Pro Ausbildung" und darin sehen wir auch momentan eine größere Bedeutung.


    Treffpunkt Betze: Eine Frage, die immer aktueller erscheint und früher oder später Lösungen braucht: Die Westkurve, einst eine Macht im Fußball wird heute geprägt von einer Ultra-Kultur, die nicht jeder Fan als gut erachtet, es gibt eine Megaphon Anlage, die immer mehr Gegner hervor ruft und eine Stimmung, die längst nicht mehr so gut ist. Hinzu kommt bei Auswärtsspielen das Abbrennen von Pyrotechnik. Beschäftigt ihr euch mit diesem Thema, diskutiert ihr das mit Jugendlichen, wie positioniert ihr euch selbst zu diesem Thema?


    Hirsch: Wir sind nicht der Meinung, dass die schlechte Stimmung durch die Megaphon Anlage oder der Ultra-Kultur zustande gekommen ist sondern es spielen verschiedene Faktoren eine Rolle. Wir nehmen grundsätzlich auch bei diesen Konflikten und beschriebenen Problemfällen eine vermittelnde Rolle ein. Selbstverständlich versuchen wir mit allen Beteiligten darüber ins Gespräch zu kommen und in gewisser Weise dabei allen gerecht zu werden. Die allgemeinen Diskussionen rund um dieses Thema verfolgen wir natürlich und sprechen auch im Besonderen mit den Ultras darüber. Wir ergreifen allerdings keine Partei. Unsere Position dabei ist die Schlichterrolle, uns ist es aus unserer sozialpädagogischen Sicht wichtig, dass jeder zu seinem Recht in der Westkurve kommen kann und dass alle ihre Freiräume behalten können. Zu diesen Freiräumen gehören besonders Fanutensilien, wie z. B. Fahnen und Choreos. Wir versuchen vor allem bei Auswärtsspielen solche Freiräume zu ermöglichen. Wir würden es begrüßen, wenn die beteiligten Akteure nicht mehr übereinander reden, sondern der Austausch und die Gespräche miteinander stattfinden würden. Wir sind sicher, auf diese Weise könnten viele Problemlagen besser gelöst werden.


    Treffpunkt Betze: Im Zusammenhang mit Ultragruppen kam es in der Vergangenheit vor, dass unbeteiligte Fans innerhalb der Westkurve zum Umziehen gezwungen wurden, da Ultras neue so genannte Stimmungszentren erzeugen wollten. Ist das für euch ebenfalls ein Thema?


    Hirsch: Wir sind natürlich viel im Stadion unterwegs, wir sprechen Fans gezielt an, fragen nach, werden aber auch von Fans angesprochen und haben demnach in der Vergangenheit bereits Gespräche zu diesem Thema geführt. Unser Wunsch wäre es, wenn Themen oder Kritik direkt an die Ultras ran getragen würden, wir selbst vermitteln aber auch in solchen Fällen. Wir können insgesamt allerdings nicht erkennen, dass die beschriebene Situation zu größeren Problemlagen führt, die Westkurve bietet Platz, sodass auch andere Bereiche genutzt werden können. Im Konkreten ist mir eine ältere Person bekannt, die Kritik geäußert hat. In diesem Fall habe ich angeboten, dass die gesamte Gruppe einen anderen Bereich nutzen kann. Auch hier ist es wichtig zu betonen, dass wir lediglich vermitteln. Wir selbst verfügen über kein Recht Entscheidungen zu treffen, dies ist Aufgabe des Vereins. Wir werden in der Regel aber auch nur dann aktiv, wenn wir angefragt werden. Ansonsten sehen wir unsere Aufgabe darin, die einzelnen Personen und Gruppen dazu zu bewegen, miteinander zu sprechen, in den Dialog zu gehen, Fanversammlungen zu besuchen und vor allem direkte Gespräche zu führen, die wir gerne unterstützend moderieren. Es ist natürlich einfach zu sagen: "Die blöden Ultras, die müssen weg". Was wichtig ist, ist die Bereitschaft Kompromisse einzugehen und gemeinsam über Lösungen nachzudenken.


    Treffpunkt Betze: Vielen Dank euch beiden. Für all eure Vorhaben und Projekte wünschen wir euch gutes Gelingen und viel Erfolg!


    Interview: Gonzo
    Foto: (c) Treffpunkt Betze

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