Der Anfang-Fußball: Weniger Veränderung als gedacht?

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    Der Anfang-Fußball: Weniger Veränderung als gedacht?

    Mutiger und attraktiver Fußball mit vielen offensiv denkenden Spielern, dafür steht Markus Anfang. Doch bis sein System greift, wird es wohl noch etwas dauern.


    Als der 1. FC Kaiserslautern Markus Anfang als neuen Cheftrainer präsentierte, freuten sich viele auf einen aktiven, ballbesitzorientierten und attraktiven Spielstil. Doch wie viel davon war in den ersten Saisonspielen schon zu sehen? Braucht seine Philosophie noch Zeit, um Früchte zu tragen? Eine taktisch-datenbasierte Analyse.


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    Mutiger Fußball bei jeder seiner Stationen


    Markus Anfang hat als Spieler und Trainer bereits viel erlebt. In seiner noch aktiven Zeit lief er für vier unterschiedliche Vereine insgesamt 79 Mal in der Bundesliga auf. Das Trikot des FC trug der bekennende Kölner nie, stattdessen machte er seine ersten Schritte in der höchsten deutschen Spielklasse beim Lokalrivalen aus Düsseldorf. Schon damals deutete sich an, dass Anfang die Polarisierung nicht scheut. Später als Trainer fiel er nicht selten durch seine klare Kante und generell sein selbstbewusstes Auftreten auf - was er bis heute auf seine Mannschaften zu übertragen weiß. Wenn Anfang nicht noch offensiver im 3-4-1-2 agiert, scheint taktisch das 4-3-3 seit jeher seine bevorzugte Formation zu sein.


    Als Trainer des 1. FC Köln trieb er diesen Mut teilweise auf die Spitze, als er die Schienenpositionen mit Offensivspielern wie Florian Kainz oder Christian Clemens besetzte und zusätzlich Außenverteidiger wie Benno Schmitz oder Jonas Hector in die Dreierkette beorderte. Wie mutig Anfang denkt, zeigte sich beim FCK erstmals am vierten Spieltag gegen Hertha BSC, als er beim Stand von 3:3 zwei neue Stürmer einwechselte und bedingungslos auf Sieg spielte - und die dadurch entstehenden Lücken in der ohnehin löchrigen Defensive billigend in Kauf nahm. Anfang steht also für den attraktiven Offensivfußball, den sein Chef Thomas Hengen schon lange auf dem Betze implementieren wollte. Ein ausführlicherer Blick auf die bisherigen Auftritte zeigt aber: Bisher ist ihm das kaum gelungen.

    Ungewohnte Freiheiten für das Team


    Spätestens beim Pokalspiel in Ingolstadt zeigte sich, dass Anfangs 4-3-3 oft nur in der Formation gegen den Ball eins ist. Mit dem Ball wird häufig ein Dreieraufbau mit den beiden Innenverteidigern und dem einschiebenden Linksverteidiger Erik Wekesser praktiziert. Der Rechtsverteidiger, an diesem Tag Almamy Touré, machte das Spiel dagegen auf der rechten Seite breit und verschaffte dem Team durch seine relativ hohe Positionierung mehr Freiräume. Diese im modernen Fußball nicht unübliche Auslegung der Formation zeigt, was Anfang seit Amtsantritt immer wieder predigt: Es geht ihm nicht um zu haltende Positionen, sondern um zu besetzende Räume auf dem Spielfeld. Den Spielern wird zwar vorgegeben, in welchen Zonen und Bereichen sie sich aufhalten sollen, nicht aber, wer in welche Zone zu laufen hat.


    Diese Herangehensweise verlangt den Spielern zwar einiges an kognitiver Kapazität ab und war unter Anfangs Vorgänger Friedhelm Funkel undenkbar, lässt aber gleichzeitig mehr Raum für Kreativität und Überraschungsmomente. Dies kann es den Gegnern erschweren, sich auf die Roten Teufel einzustellen. Allerdings erfordert diese Art des Fußballs auch viel Kommunikation auf dem Feld, was bei der schon von einigen Trainern bemängelten, chronisch zu ruhigen Art und Weise der Mannschaft zu schwerwiegenden Fehlern führen kann. Zudem ist es wichtig zu sehen, dass die Spieler auch nicht ausnahmslos in allem frei sind, was sie tun: Gerade bei der Konterabsicherung sind klare Vorgaben über die zu besetzenden defensiven Räume unerlässlich.


    Unter dem Strich war die 1. Pokalrunde bei den Schanzern bis zum Platzverweis von Jan Gyamerah wohl ein Spiel, in dem der von Anfang gewünschte Fußball zu sehen war: Der FCK erspielte sich durch stringente Ballzirkulation und hohes Tempo regelmäßig gute Torchancen, und auf Ballverluste folgten schnelle und hohe Ballgewinne durch intensives kollektives Gegenpressing. In der ersten Halbzeit kam Anfangs Mannschaft auf einen Ballbesitzwert von 55 Prozent, in der starken Viertelstunde vor dem Pausentee waren es sogar 66 Prozent. Dass dies allerdings nicht immer möglich ist, zeigte die Partie gegen die Hertha, als gegen einen deutlich stärkeren Gegner nur 41 Prozent erreicht wurden. Ballbesitz sollte kein Selbstzweck sein und ist kein Indikator für die Qualität des eigenen Spiels. Er ist aber oft einer von mehreren Faktoren, die die Spielweise einer Mannschaft widerspiegeln.


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    Probleme im Aufbau, Glanzlichter im letzten Drittel


    Der Spielaufbau aus der Defensive ist in der Innenverteidigung bisher eher vorsichtig, nur wenig progressiv und phasenweise fehleranfällig, wie zuletzt bei Julian Krahl, als er von den Berliner Stürmern mit hohem Tempo angelaufen wurde. Effizienter für den FCK sind daher häufig lange Bälle, die der Stürmer entweder festmacht oder, falls dies nicht gelingt, kollektiver Druck bei zweiten Bällen, um den Ball in der gegnerischen Hälfte zurückzuerobern.


    Ein leidiges Thema bleibt die Besetzung der Sechserposition. Der an sich spielstarke Gyamerah wurde dort zuletzt regelmäßig eingesetzt, obwohl der gelernte Außenverteidiger diese Position in seiner Karriere nur äußerst selten gespielt hat. Phasenweise fehlten ihm in gegnerischen Pressingsituationen etwas Resistenz und Ballsicherheit,was zu Ballverlusten in gefährlichen Zonen und taktischen Fouls führte. Eine Reihe weiter vorne sollen Kapitän Marlon Ritter und sein Nebenmann (je nach Spiel Kaloc, Raschl oder Klement) für kreative Momente und generell für die Ballverteilung sorgen. Eine Schlüsselrolle kommt dabei Aaron Opoku zu, der mit seiner Geschwindigkeit, seiner Technik und seinem Mut im Dribbling Qualitäten aufweist, die - abgesehen von Neuzugang Daisuke Yokota - kein anderer Spieler in dieser Form mitbringt. Der junge Japaner könnte von seinem Skill-Profil her das optimale Pendant zu Opoku auf der rechten Seite werden. Zuletzt wurde dort der äußerst langsame und undynamische Klement aufgeboten, was zeigt, dass Anfang dort gerne einen inversen Linksfuß spielen lässt, damit Rechtsverteidiger Touré situativ hinterlaufen kann.


    Unabhängig davon, ob Ragnar Ache, Daniel Hanslik oder Jannik Mause aufläuft, die Anweisungen an den Stürmer im 4-3-3 scheinen klar zu sein: Teils kommen die Angreifer den Mittelfeldspielern entgegen, teils bieten sie Läufe hinter die Kette an oder besetzen schlicht die Box bei Flankensituationen. Jedoch halten sie konsequent ihre Position im Zentrum des Spielfelds und versuchen, dort immer anspielbar zu sein.

    Teils erschreckende Passivität gegen den Ball


    Die Intensität des Pressings schwankte bei den bisherigen Partien stark. Ein guter Indikator ist hier der PPDA-Wert. Er steht für „Passes Per Defensive Actions“ und gibt an, wie viele Pässe eine Mannschaft den Gegner spielen lässt, bevor sie eine Defensivaktion startet. Gegen Ulm und Münster agierte man beispielsweise sehr aggressiv gegen den Ball (6,4 bzw. 6,8 PPDA), gegen Berlin lag der Wert hingegen bei 11.


    Beim 2:2 gegen Fürth kam der FCK sogar nur auf einen PPDA von 15,1 - in der schwachen Phase zwischen der 16. und der 30. Minute sogar bei erschreckenden 55. Die Lautrer leisteten in diesem Abschnitt des Spiels quasi keine Gegenwehr, lieferten eine defensive Nichtleistung ab und waren mit dem zwischenzeitlichen 0:2 noch gut bedient. Im weiteren Spielverlauf pendelte sich der PPDA zwar phasenweise in einem Norm-Bereich von etwa 9 ein, doch diese Inkonstanz mit einer derart haarsträubenden Passivität ist besorgniserregend.


    Aber auch abseits des PPDA-Wertes hat der FCK weiterhin mit Defensivproblemen zu kämpfen. Boris Tomiak leistet sich regelmäßig grobe Stellungsfehler, und auch Jan Elvedi, dem Jannis Heuer den Rang abgelaufen hat, agierte zuletzt im Testspiel gegen Stuttgart äußerst unglücklich. So stellt sich die Frage, ob ein Sechser mit mehr Zweikampfpräsenz dem gesamten Defensivverbund gut tun würde. Afeez Aremu ist zwar nicht groß gewachsen, konnte aber im besagten Test gegen den VfB mit seiner robusten Spielweise und seinem druckvollen Passspiel glänzen. Den Rückhalt der Hintermannschaft bildet aber ohnehin Julian Krahl, der seine Mannschaft schon mehrfach mit herausragenden Reflexen im Spiel gehalten hat.

    Überraschender Vergleich mit der Vorsaison


    Letztlich stellt sich hinsichtlich einer ersten Bewertung der Arbeit von Markus Anfang die Frage, ob bereits ein Fortschritt gegenüber der Vorsaison erkennbar ist. Und tatsächlich ist auf Datenebene noch kein großer Unterschied zu der Zeit unter Schuster, Grammozis und Funkel abzulesen. Die Zahl der gespielten Pässe pro 90 Minuten (339 vs. 351) und deren Erfolgsquote (jeweils 80%) unterscheiden sich nicht wesentlich. Ähnlich sieht es bei den progressiv gespielten Bällen aus (jeweils 66 pro Spiel bei 77% vs. 73% Präzisionsquote). Der Ballbesitz stieg zwar um vier Prozentpunkte auf durchschnittlich 48 Prozent, jedoch sank die Zahl der mutigen Steckpässe um 0,6 auf 2,1 pro Partie. Heißt: Das Team hat unter Anfang tendenziell etwas mehr Spielkontrolle, aber deutlich weniger Mut im Passspiel im letzten Drittel.


    Auch in der Defensive sieht die Entwicklung auf dem Papier nicht gut aus: Die Mannschaft führt insgesamt weniger defensive Zweikämpfe (57 vs. 64), gewinnt diese etwas seltener (61% vs. 62%) und lässt mehr gegnerische Schüsse zu (13,2 vs. 12 pro 90min), was in Summe auch zu mehr erwarteten Gegentoren führt (1,56 vs. 1,47 xGagaint pro Spiel). Tatsächlich findet sich kaum eine Statistik, in der sich der FCK signifikant verbessert hätte. Dies liegt aber auch an der starken Unterperformance der Mannschaft in der Vorsaison, als man nach Expected Points, also den statistisch aufgrund des Spielverlaufs erwarteten Punkten, mit rund 12 Punkten mehr eigentlich auf Platz 7 hätte landen müssen.


    Das derzeit in Fankreisen nicht zu Unrecht verbreitete Gefühl, dass sich die Mannschaft trotz der eher negativ zu lesenden Daten in eine positive Richtung entwickelt, muss durch die dargestellten Werte nicht zwingend widerlegt werden. Zum einen ist die Datenbasis nach fünf Spielen noch nicht groß genug für eine abschließende Bewertung, zum anderen ist der Kader nach Abschluss der Sommertransferperiode erst jetzt komplett, so dass ein grundsätzliches Urteil verfrüht wäre. Dennoch gilt es, auch aufgrund einiger eher glücklicher Punktgewinne, sehr wachsam zu bleiben und die nächsten Auftritte genau im Auge zu behalten. Mit Hannover 96 und dem HSV stehen die nächsten beiden schweren Gradmesser an, bevor es gegen eher kleinere Vereine wie Jahn Regensburg und die SV Elversberg geht. Danach sollte etwas klarer sein, wo der FCK mit Anfangs Fußball in der 2. Liga steht - und welche Ambitionen man für den Rest der Spielzeit haben darf.