ZitatAlles anzeigenDie süditalienische Region Kalabrien ist klein, arm, mafiös - und offizieller Partner der Nationalmannschaft. Um Touristen anzulocken, pumpt Kalabrien Millionen in Italiens Top-Fußballer - finanziert mit Fördermitteln aus der EU-Kasse.
Brüssel - Das Spiel war noch torlos, das Publikum im "Stadio Comunale" im Toskana-Städtchen Pistoia gelangweilt. Die Partie zwischen den Olympiateams von Italien und Rumänien ging in die elfte Minute. Da geschah etwas, das im Stadion kaum Beachtung fand, ein paar hundert Kilometer weiter südlich aber voller Aufregung erwartet wurde: Die rund ums Spielfeld plazierten Werbeträger wechselten ihre PR-Botschaft. Auf leuchtend blauem Untergrund war nun "Regione Calabria" zu lesen. Und ein paar Sekunden später ein weiterer Wechsel, ein neuer Text, übersetzt ins Deutsche, "Kalabrien gibt dir mehr".
So wurde, am 22. Juli diesen Jahres, beim Spiel der "unter 23- Jährigen" Nationalkicker, das süditalienische Armenhaus Kalabrien "offizieller Partner der italienischen Fußballnationalmannschaft".
Vier Wochen später, am 20. August, durfte man diese Partnerschaft auch bei einem Auftritt der "echten" Nationalmannschaft in Nizza, beim müden 2:2 gegen Österreich, beginnen. Seither kann, wer gute Augen hat und beharrlich sucht, bei italienischen Nationalspielen zwischen den unzähligen Sponsoren-Logos, etwa an der Wand, vor der Trainer und Spieler nach dem Match zu ihren Fernsehinterviews aufgestellt werden, auch ein Kalabrien-Schildchen entdecken.
Das, so sagt die Regionalregierung, werde viele Touristen in die wirtschaftlich zurückgebliebene Gegend an der Spitze des italienischen Stiefels treiben.
Gelder "weitgehend unkontrolliert" überlassen
Die Partnerschaft kostet natürlich ein bisschen. 1,8 Millionen Euro zahlt die Region für drei Jahre als "Sponsoring" an die "Squadra Azzura". Dazu kommen rund 500.000 Euro für den zusätzlichen Einsatz des ruppigen Mittelfeld-Nationalspielers Gennaro Gattuso vom Mailänder Club "AC Milan", der Italiens Premier Silvio Berlusconi gehört. Und für knapp fünf Millionen will man Zeitungsanzeigen und TV-Spots schalten. Die genaueren Zahlen sind noch etwas unklar, die Angaben differieren.
Klar ist freilich: Die Hälfte dieser Summen kommt aus Brüssel, aus dem Topf der Regionalhilfen und ist eigentlich dafür gedacht, rückständige Gebiete mit besserer Infrastruktur zu versehen, wirtschaftliche Impulse zu geben, Arbeitsplätze zu schaffen.
"Davon", sagt der liberale Europaabgeordnete aus Kalabrien, Benjamino Donnici, könne hier "keine Rede sein". Im Gegenteil: Mittel, zum Beispiel für den Ausbau touristischer Infrastruktur, seien sogar zugunsten der Gelder für die Millionärstruppe auf dem Fußballplatz gekürzt worden. "Das ist so verrückt", erregt sich Donnici, "dass es ins Guinness-Buch der Rekorde gehört".
Warum, fragt er die EU-Kommission in Brüssel, überlasse die ihre Fördermillionen weitgehend unkontrolliert einer Regionalverwaltung, "die über Jahrzehnte bewiesen hat, dass sie die nicht sinnvoll einsetzen kann oder nicht will". Kalabrien, so Donnici, der einst selbst Mitglied der regionalen Regierung war, sei heute trotz gewaltiger Spenden aus Brüssel so arm wie eh und je – nur manche seien dabei reich geworden.
Ein weiteres Beispiel für ein unsinniges System
Schon lange stehen die Brüsseler Gelder in der Kritik. Vergangenes Jahr konnten unter dem Label "Regionalhilfen" 45,5 Milliarden Euro verteilt werden. Weil es in den 27 Mitgliedsländern für so viel Geld aber gar nicht genügend sinnvolle Projekte gibt, wird ein Teil der Fördermittel gar nicht abgerufen. Ein anderer Teil wird für Spaßbäder oder Kinofestivals, Straßentheater in Nordirland oder überdimensionierte Fahrradschuppen in Niedersachsen verpulvert – oder eben, um einen der reichsten Fußballverbände der Welt auf seinem Weg zur nächsten Weltmeisterschaft beizustehen.
Ein weiteres Beispiel für ein unsinniges System – und auch in Kalabrien gewiss nicht das einzige. "Da läuft vieles falsch", bestätigt ein anderer Europaparlamentarier, der liberale Brite Bill Newton-Dunn. Er war kürzlich mit einer Kommission des Haushalts-Kontrollausschusses auf Inspektion in Süditalien. Sein Befund: "Mehr Kontrolle" der EU-Gelder durch Brüsseler Spezialisten sei dringend nötig. Die für Regionalhilfen zuständige Kommissarin Danuta Hübner hat die Administration in Kalabriens Hauptstadt Catanzaro aufgefordert, die Sache bis kommenden Montag aufzuklären.
Bei der Gelegenheit könnte die auch gleich die Sinnhaftigkeit und den Erfolg ihrer vorhergehenden Werbekampagne erläutern, die ebenso mit EU-Millionen finanziert worden sein soll. Dabei hatte Skandal-Fotograf Oliviero Toscani Gruppen junger sympathischer Kalabrier abgelichtet. Die waren dann mit dem kessen Spruch "Unterwelt? Klar, wir sind Kalabrier" als Anzeigen in vielen Zeitungen und in TV-Spots zu sehen. Das sollte das Vorurteil abbauen, so die Auftraggeber, die Menschen der Region seien zu großen Teilen Mitglieder der Mafia.
Eine eher unglückliche Aktion. Denn am 15. August vorigen Jahres waren in Duisburg sechs mutmaßliche Mafiosi im Kugelhagel ihrer Konkurrenten gestorben. Alle Spuren – der Schützen, wie der Opfer – führen nach Kalabrien.
QUELLE: http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,580294,00.html
Da fehlen einem die Worte.....