Terrence Boyd: „Es war ein wilder Ritt“ (Teil 1/2)
- Dirk
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Terrence Boyd spielt seit anderthalb Jahren beim 1. FC Kaiserslautern und hat sich in dieser Zeit zu einem der Gesichter der Roten Teufel entwickelt. Mit 13 Toren trug der ehemalige US-Nationalspieler seinen Teil zum Klassenerhalt des FCK bei und präsentierte sich auch abseits des Platzes mit seiner sympathischen Art als wertvoller Markenbotschafter des pfälzischen Traditionsvereins. Folgerichtig wurde der Stürmer von der Treffpunkt Betze Community zum Spieler der Saison 2022/23 gewählt. Eine Nachricht, die unsere Redaktion dem 'Hell-Boyd' natürlich persönlich überbringen wollte. Trotz der schweißtreibenden Vorbereitungsphase nahm sich der 'Tor-Zyklop' Zeit für ein gemeinsames und sehr ausführliches Gespräch. Im heutigen ersten Teil spricht Terrence Boyd über besondere Spiele und Highlights, die Besonderheit der FCK-Fans, persönliche Rückschläge und Drucksituationen.
„Das bekommt man, wenn man Lautern bucht“
Treffpunkt Betze: Hallo Terrence, rund 4.300 Leser und Leserinnen unseres Magazins haben sich an unserer großen Umfrage beteiligt. Mit großem Abstand und insgesamt 1.189 Stimmen wurdest du zum Spieler des Jahres gewählt. Glückwunsch dazu! Welche Bedeutung haben eine solche Auszeichnung und ein solches Feedback der Fans für dich?
Terrence Boyd: (lacht) Naja, es ist die erste persönliche Trophäe, die ich in meiner Karriere überhaupt gewonnen habe. Es freut mich auf jeden Fall und ehrt mich natürlich auch sehr. Man muss aber auch sagen, dass es vermutlich so ein wenig der Position geschuldet ist, auf der ich spiele. Grundsätzlich sehe ich mich als kleinen Teil des Teams und ich denke, die Auszeichnung kann ich mehr oder weniger stellvertretend für die ganze Mannschaft entgegennehmen. Würden die Jungs mich nämlich nicht in Szene setzen, stünde ich da vorne nur effektivlos rum.
Treffpunkt Betze: 33 Zweitliga-Partien hast du in der letzten Saison bestritten: Ist eine davon für dich in besonderer Erinnerung geblieben?
Terrence Boyd: Da gab es mehrere. Spontan fällt mir das Spiel gegen Hamburg ein. Ich sitze nicht so gern auf der Bank und war dann so motiviert, dass ich eigentlich vergessen habe, gegen wen wir spielen - und es wäre mir in dem Moment auch völlig egal gewesen. Wir hätten gegen jeden spielen können und ich hätte jeden überrannt. Es ist schade, dass man sich nicht immer selbst so manipulieren kann, um diese Energie jedes Mal aufs Neue in dieser Form auf den Platz zu bringen.
Treffpunkt Betze: Das klingt so, als wäre die Partie gegen Hamburg nicht die einzige mit besonderem Charakter gewesen.
Terrence Boyd: Es waren auch viele andere Spiele, die besonders waren. Klar ist es immer schön, wenn Du triffst, aber vor allem die Spiele, die wir teilweise ein wenig dramatisch gewuppt haben, bleiben präsent. Die Englische Woche vor der Winterpause zum Beispiel, in der wir neun Punkte geholt haben. Und die mit solchen Ereignissen, wie dem Last-Minute-Elfmetertor in Düsseldorf von Pippo (Anm. der Redaktion: Gemeint ist Philipp Klement), was eigentlich an Dramatik nicht zu überbieten war. Oder auch das Spiel in Nürnberg, wo es in allerletzter Sekunde wieder Pippo war, der getroffen hat. Zu Hause gegen Heidenheim, wo wir in der Nachspielzeit aus einem 0:2 noch ein 2:2 gemacht haben. Oder auch die Heimspiele gegen Darmstadt und Magdeburg, das allererste Saisonspiel gegen Hannover, wo Krausi in der Nachspielzeit getroffen hat. Das Auswärtsspiel in Fürth, nach dieser ersten Halbzeit dort noch so zu drehen, war auch phänomenal. Wenn man überlegt, auf wieviele Highlights wir hier zusammen zurückblicken können, das habe ich in meiner Karriere innerhalb einer Saison auch noch nicht erlebt. Und ich bin mir sicher, dass ich noch einige vergessen habe. Es war auf jeden Fall ein wilder Ritt. Aber das bekommt man, wenn man Lautern bucht.
„Es gibt viele Vereine, die dies gerne hätten“
Treffpunkt Betze: Nach einer recht kurzen Sommerpause wart ihr für zehn Tage in einem Vorbereitungstrainingslager in den USA. Speziell für dich dürfte dieser Trip etwas ganz Besonderes gewesen sein. Nimm uns doch einmal ein wenig mit: Welche Bedingungen habt ihr vorgefunden?
Terrence Boyd: Als US-Amerikaner habe ich mich natürlich sehr darüber gefreut, dass wir das Trainingslager in den USA absolviert haben. Sowohl in Louisville als auch Minneapolis fanden wir beste Bedingungen vor. Der Rasen, auf dem Du arbeitest, muss passen und die Plätze waren astrein. Es fehlte uns an nichts, es war alles perfekt. Im Nachhinein betrachtet, war es ein hervorragendes Trainingslager.
Treffpunkt Betze: Und welchen Stellenwert hatte das Trainingslager für die Fans in Übersee und natürlich auch den FCK?
Extrem imponierend war, wie viele FCK-Fans gekommen sind, um uns zu sehen. Am Tag vor dem Spiel bei Minnesota United waren wir noch in einer Fanbar, wo eine Reunion von Militärkindern, die in den 70ern und 80ern in Ramstein, bzw. Vogelweh großgeworden sind, stattfand. Die haben teilweise in Damenmannschaften oder auch in einer Schule in Kaiserslautern gespielt. Und seit ihrer Zeit hier in der Pfalz sind sie alle glühende FCK-Fans. Mittlerweile leben die meisten wieder in den USA, wo sie sehr verstreut sind. Die kamen aus Nevada, Texas, Florida – von überall her. Und sie sind extra eingeflogen, nur um eines unserer beiden Testspiele zu sehen. In so einem Trainingslager wirst Du eigentlich täglich in die Mangel genommen und Du bist eigentlich einfach froh, wenn Du irgendwie durchkommst. Um die Testspiele machst Du dir da normalerweise nicht allzu viele Gedanken. Aber wenn man dann mitbekommt, dass die Jungs und Mädels von überall herkommen, um ihre alte Liebe zu sehen, dann hast Du schon etwas mehr Druck und willst Dich natürlich besonders anstrengen, um den Menschen auch etwas zurückzugeben.
Treffpunkt Betze: Kann eine solche Verantwortung auch zur Last werden?
Terrence Boyd: Es ist genau wie hier zu Hause. Es ist eine Ehre für diesen Club zu spielen, weil Du einfach weißt, dass Du immer eine unglaubliche Anzahl an Fans hinter Dir hast. Zuschauerzahlentechnisch sind wir eigentlich nie im Nachteil, etliche Auswärtsspiele verwandeln unsere Fans in Heimspiele. Damit trägst Du allerdings auch etwas Verantwortung und eine gewisse Bürde mit Dir. Niemand soll mit einem schlechten Gefühl nach Hause gehen und durch unsere Fans haben wir immer Highlight-Spiele, was natürlich aber auch die Gegner beeinflusst und teilweise stärker macht. Auch die spielen hier in Kaiserslautern oftmals vor einer außergewöhnlichen Kulisse, die sie sonst möglicherweise nicht haben. Für mich ist es immer so ein bisschen Fluch und Segen, beides natürlich positiv gemeint. Es ist geil, wenn Du weißt, Du hast hier 50.000 Leute hinter Dir, andererseits entsteht dadurch aber ein noch immenserer Druck, als der, den Du dir als Spieler oder Mannschaft ohnehin schon machst. Du willst nicht vergeigen oder die Leute im Stich lassen, aber wie oft haben wir hier schon Traumtore gegen uns bekommen, weil unsere Gegner plötzlich von dem ausverkauften Haus beflügelt werden? Und dann kann sich die Stimmung auch plötzlich drehen. Aber im Grunde reden wir hier von Luxusproblemen, es gibt viele Vereine, die diese gerne hätten.
Treffpunkt Betze: Lässt sich überspitzt formuliert sagen, wo viel Liebe ist, ist auch viel Hass?
Terrence Boyd: (überlegt) Jein! Ich verstehe, was Du meinst, aber es hat ja nichts mit Hass in dem Sinne zu tun. Wenn ich beispielsweise mit meinen Kindern schimpfe, dann ja deswegen, weil ich die beiden sehr liebe und ich will, dass sie auf dem richtigen Weg bleiben und nicht davon abkommen. Diese Emotionen holst Du aus den Menschen heraus. Wenn die schreien, "Was macht der Boyd denn da wieder für einen Mist?", dann tun sie das ja nicht, weil sie mit mir ein Problem haben, sondern weil ich das FCK-Logo trage und sie nicht wollen, dass ich mal wieder aus drei Metern danebenschieße, sondern dass ich das Tor treffe. Deswegen verstehe ich es und kann es auch absolut nachvollziehen, aber es ist auch nicht immer einfach.
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Treffpunkt Betze: Der FCK ist generell ein Verein mit einer riesigen Fanbase. Du selbst lebst eine große Fannähe und sagtest einmal, "Die Fans machen uns zu einem nicht normalen Aufsteiger". Was unterscheidet die FCK-Anhängerschaft von anderen, die du in deiner Karriere bisher erlebt hast?
Terrence Boyd: Es ist auf jeden Fall erstmal die Masse. Und man merkt schon, dass das hier ein besonderer Schlag Mensch ist. Man spürt die Evolution, die die Menschen hier durchgemacht haben. Es gibt immer noch Leute, die zu mir kommen und sagen, "Ihr steigt jetzt auf, dann werdet ihr Meister!". Aber wir sind nun mal nicht das Team, das 1998 diese Wahnsinnsgeschichte geschrieben hat. Das hat es in Deutschland in der Form ein einziges Mal gegeben. Und ihr hattet hier alle das große Glück, das miterleben zu dürfen. Ihr wisst, dass es machbar ist, bzw. machbar war. Aber die Zeiten ändern sich. Jeder hat mitbekommen, was hier in den letzten Jahren los war und wo der Verein herkommt. Im Laufe der Zeit macht jeder von uns seine Prozesse durch. Seit 1998 sind 25 Jahre vergangen, in solch einem Zeitraum entwickeln sich die Dinge. Was wir völlig zu Recht propagieren, ist Demut. Manchmal ist es schwer, demütig zu sein, wenn du 50.000 Menschen hinter Dir hast und jeder weiß, dass der FCK einfach ein riesiger Club ist. Darüber braucht man ja nicht zu diskutieren, der FCK gehört zu den Top Ten in Deutschland. Aber da sind wir einfach noch nicht. Ich bin mir sicher, dass Lautern wieder zurück in die erste Liga kommen wird, ob ich das als Spieler noch erleben werde, sei jetzt mal dahingestellt.
Treffpunkt Betze: Zur Rückkehr in die Bundesliga gehört aber auch, dort bestehen zu können.
Terrence Boyd: Fakt ist, dass, wenn es nach oben geht, daraus keine JoJo-Geschichte werden sollte. Sondern dass der Verein dann wieder sauber aufgestellt ist und einen schönen Nährboden hat. Die U19 und die U17 sind gerade wieder aufgestiegen, das ist eine ganz tolle Entwicklung. Auch in anderen Bereichen kann man förmlich zuschauen, wie der Verein wieder wächst. Nach all den schlechten Jahren gibt es sicher ein paar Baustellen, aber es geht in die richtige Richtung. Die Profimannschaft ist nur ein Teil dieses Konstruktes, aber halt das Paradestück, weil sie in der öffentlichen Wahrnehmung ganz vorne steht. Gute Beispiele haben wir doch jetzt mit Darmstadt und Heidenheim. Die waren jahrelang oben dabei. Einmal hat es knapp nicht gereicht, ein anderes Mal ging die Relegation schief, aber die haben die Ruhe bewahrt und einfach weitergemacht. Dass beide Vereine da stehen, wo sie jetzt sind, ist ja kein Zufall. Beide haben sich diesen Erfolg über Jahre erarbeitet. Und das sollte auch der Weg vom FCK sein. Wir sollten langsam etwas aufbauen, Stück für Stück und Jahr für Jahr besser werden, um dann, wenn wir mal wieder oben sind, auch oben bleiben zu können. An der Stelle muss ich auch mal ein Kompliment an unsere Geschäftsführung loswerden. Diesen Verein und die Herausforderungen Tag für Tag zu managen und zu moderieren, ist nicht einfach. Bei so einem großen Club wie dem FCK eine solche Ruhe hereinzubringen, wie sie im letzten Jahr geherrscht hat, nötigt tiefsten Respekt ab.
"Jeder Tag, den ich als Profi erleben darf, ist für mich ein Bonus"
Treffpunkt Betze: Gerne würden wir ein Thema außerhalb des Fußballsports mit dir betrachten. Dabei geht um “Depression” oder vielleicht leichter formuliert “erschwerte Lebensphasen”: Nach deinem Wechsel von Rapid Wien zu RB Leipzig erlebte deine Karriere 2014 einen Knick. Als Tormaschine aus der österreichischen Bundesliga verpflichtet, konntest du dich nach einem Kreuzbandriss gegen Ende der Vorrunde an die Mannschaft heranarbeiten, wurdest aber immer wieder komplett zurückgeworfen. Wie hast du die damalige Zeit erlebt? Gab es Momente der “Verzweiflung”?
Terrence Boyd: Die gab es damals fast täglich. Durch meinen Kreuzbandriss hatte sich eine Zyste gebildet, auf Grund derer ich mich drei weiteren OPs unterziehen musste, nur um diese Zyste in den Griff zu bekommen. Ich war dann anderthalb Jahre raus. Ralf Rangnick hatte mir schon angeboten, dass ich mir einen Job bei RB hätte aussuchen können, was insgesamt ja dafürsprach, dass es auf mein Karriereende hinauslief. Nach jeder OP habe ich mich durch eine Reha gekämpft und immer wieder hat sich mein Knie entzündet. Nach der dritten Operation war ich fix und fertig und habe damals auch, so glaube ich zumindest, zum letzten Mal geheult. Du dachtest halt für Dich, das war es jetzt mit deinem großen Traum. In dieser Phase habe ich aber auch meine Frau kennengelernt. Es tut Dir dann gut, dass Du diese Ablenkung hast und auch Leute um dich herum sind, die Dich auffangen. Ich bin als Nordlicht emotional nicht so greifbar, wie andere Menschen, ich bin da relativ nüchtern. Und trotzdem hat es mir extrem gutgetan, dass ich diese Liebe meiner Familie und meiner Frau gespürt habe. Und dann kam auch unser erstes Kind zur Welt, was Dir noch mehr hilft einzuordnen, was wirklich wichtig ist im Leben. Nachdem die letzte OP den gewünschten Erfolg gebracht hat, ist jeder Tag, den ich als Fußballprofi erleben darf, für mich ein Bonus. Ich hatte mich schon damit abgefunden, meine Karriere beenden zu müssen und bin froh, dass ich überhaupt noch einmal auf das Spielfeld zurückkommen konnte.
Treffpunkt Betze: Hast du im Nachhinein betrachtet das Gefühl, dass du aus dieser Lebensphase gestärkt hervorgegangen bist?
Terrence Boyd: Es ist immer schwer, das messen zu wollen. Ich wüsste nicht, an was ich es festmachen sollte, dass ich jetzt stärker bin als vorher. Du bist auf jeden Fall stärker und reicher an Erfahrung. Klar hätte man auf manche Dinge im Leben auch gern verzichtet, aber das sind ja alles kleine Bauteile, die uns zu dem werden ließen, was wir jetzt sind - egal ob es gesundheitliche Rückschläge sind, ob es berufliche Erfolge oder Misserfolge sind, ob es das Liebesleben ist oder sonst irgendwelche Ereignisse im Leben. Ich glaube sehr stark an Schicksal. Es sollte alles so kommen, wie es bis jetzt gekommen ist. Natürlich fragt man sich manchmal, ob man gewisse Entwicklungen wirklich gebraucht hätte, aber grundsätzlich sind wir in der Zeitgeschichte dieser Erde doch nur kleine Ameisen, die ihren Teil dazu beitragen, dass es so ist, wie es ist. Der Fokus sollte einfach darauf liegen, im Hier und Jetzt glücklich zu sein.
Am Montag um 18:00 Uhr erscheint der zweite Teil unseres ausführlichen Interviews mit Terrence Boyd. Darin spricht der Stürmer über seine Erfahrungen mit Rassismus, die Leistungsfähigkeit des Kaders und seine eigene Rolle als Identifikationsfigur beim 1. FC Kaiserslautern.
Quelle: Treffpunkt Betze
Quelle: Treffpunkt Betze
Antworten 2
BS66
Wenn man dieses Interview liest, wird klar warum T. Boyd so viele Sympathien besitzt. Gefühlt jedes 2. Trikot lassen sich die Fans mit der Nr. 13 und dem Schriftzug "Boyd" bedrucken. Ich freue mich schon auf den 2. Teil des Interviews
dirtdevil
der bursche ist einfach authentisch und ich glaube ihm jedes wort.