Betze Background: Die Kopfkino-Regisseure

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    Betze Background: Die Kopfkino-Regisseure

    Ein Blick hinter die Kulissen: Treffpunkt Betze durfte Marco Menches und Tom Mihanovic bei ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit als Blindenreporter über die Schulter schauen.


    Marco, Tom, Thomas, Jonathan und Thorsten bilden das Blindenkommentatoren-Team des 1. FC Kaiserslautern. Von ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit profitieren nicht nur die sehbehinderten Gäste im Fritz-Walter-Stadion. Auch die bis zu 10.000 Hörerinnen und Hörer des FCK-Fanradios können dank der fünf Ehrenamtlichen hautnah am Spielgeschehen der Roten Teufel dabei sein und erhalten einen sehr authentischen Bericht über das Geschehen auf dem Betzenberg. Treffpunkt Betze-Redakteur Dirk durfte die Jungs einen Tag lang begleiten und einen Blick hinter die Kulissen werfen.

    „Wir projizieren mit unseren Worten einen Film in den Kopf“


    Ich habe mich schon lange nicht mehr so auf ein Heimspiel gefreut wie auf das gegen Hertha BSC Berlin. Nicht etwa, weil es das Punktspieldebüt von Dimitrios Grammozis als FCK-Cheftrainer war oder weil mit der „Alten Dame“ zweifellos ein echtes Zweitliga-Schwergewicht auf die Roten Teufel wartete - nein, ich war an diesem Tag mit Marco Menches verabredet. Er ist Teil des FCK-Fanradios und damit einer von fünf ehrenamtlichen Blindenkommentatoren auf dem Betzenberg. In allen Stadien der 1. und 2. Bundesliga sowie in einigen der 3. Liga können sehbehinderte Fans dank dieser speziellen Reporter die Spiele ihrer Vereine in Originalatmosphäre genießen und so hautnah dabei sein, wenn Siege gefeiert und Niederlagen bedauert werden.


    Marco hat zwar keine journalistische Ausbildung genossen, sieht sich aber als Vertriebsmitarbeiter und ehemaliger Spieler und Jugendtrainer des SV Rodenbach durchaus in der Lage, viel und fachlich fundiert zu reden. Und das ist eine der Voraussetzungen, die man als Teil des Kommentatorenteams für sehbehinderte Stadionbesucher mitbringen muss. „Unsere Zuhörer verlassen sich darauf, dass wir mit unseren Worten einen Film in ihren Kopf projizieren. Wir versuchen dafür zu sorgen, dass im Kopf die Bilder entstehen, die die anderen Zuschauer sehen können“, erklärt mir Menches auf dem Weg zur Kommentatorenkabine, die sich hoch oben unter dem Dach der Südtribüne befindet. Einmal im Jahr findet eine zweitägige Fortbildung auf Bundesebene statt, bei der sich alle Blindenkommentatoren Deutschlands treffen, austauschen und Hilfestellung bekommen. Wie Marco erklärt, bekommen die Ehrenamtlichen dort quasi einen Werkzeugkoffer an die Hand, aus dem sie vieles für ihre Reportagen ableiten und nutzen können.


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    Man muss ein Verständnis für die kleinen Dinge entwickeln, die ein Bild vervollständigen können. Dinge, die wir aus dem Augenwinkel wahrnehmen, gehen Sehbehinderten verloren. Aus '´Puchacz bekommt den Ball auf der linken Seite, setzt sich gegen zwei Gegenspieler durch und flankt von der Grundlinie vor das Tor auf Boyd', wird in unserem Kommentar 'Puchacz steht etwa zwei Meter hinter der Mittellinie völlig frei, im Hintergrund gestikuliert Dimitrios Grammozis wild mit den Armen. Krahl schaut nach oben, sieht den polnischen Nationalspieler genau im richtigen Moment starten und wirft ihm den Ball präzise zu. Puchacz nimmt den Ball mit der Brust an, läuft auf den ersten Gegenspieler zu, macht erst einen, dann zwei Übersteiger, spielt so den Berliner Rechtsaußen Winkler aus, kann durch sein hohes Tempo auch seinen defensiven Teamkollegen Jonjoe Kenny einfach überlaufen und steuert nun auf seiner linken Außenbahn auf die Grundlinie zu. Er blickt auf, sieht den mitgelaufenen Terrence Boyd und schlägt eine perfekte Flanke genau auf den Kopf des am Elfmeterpunkt lauernden US-Amerikaners'", gibt Menches einen kurzen Einblick in die unterschiedlichen Herangehensweisen.

    „Du brauchst nach ein paar Minuten eine kurze Pause“


    Für einen Kommentator allein wäre eine Spielreportage in dieser Form allerdings nicht machbar. „Du brauchst nach ein paar Minuten eine kurze Pause, denn die präzise Beschreibung des Spielgeschehens ist schon sehr anspruchsvoll und fordernd“, erklärt Marco, während er mir seinen heutigen Partner am Mikrofon vorstellt. Tom Mihanovic ist gebürtiger Lautrer, hat in der Jugend sogar für den FCK gespielt und ist auch heute noch absolut fußballverrückt. Gemeinsam mit Marco geht er die Aufstellungen der beiden Mannschaften durch und erstellt der Einfachheit halber eine taktische Grundaufstellung der beiden Teams. Beide haben sich zur Vorbereitung auf ihren heutigen Einsatz natürlich auch das erst drei Tage zurückliegende DFB-Pokal-Achtelfinale der Hertha gegen den HSV angeschaut und sind erst einmal erleichtert, dass Fabian Reese und Haris Tabakovic zunächst nur auf der Bank sitzen. Tom ist genau wie Marco mit voller Leidenschaft bei der Sache und beide freuen sich, dass das letzte Heimspiel des Jahres nun endlich losgeht.


    Ich habe Glück. Die Mannschaft von Dimitrios Grammozis legt los wie die Feuerwehr. Den Jungs von Pal Dardai ist die Pokalschlacht gegen den HSV deutlich anzumerken, was die Roten Teufel von Beginn an auszunutzen versuchen. Taktisch und kämpferisch sehr diszipliniert gehen die Lautrer das Spiel an und zwingen die Berliner immer wieder zu Fehlern. Marco und Tom fiebern mit und schaffen es mit ihren Kommentaren, das Feuer vom Spielfeld auf die Zuhörer überspringen zu lassen. Nach einer guten Viertelstunde wird es richtig laut in der Kommentatorenkabine. „Jaaaaaaaa, Toooor durch Touré!“ jubelt Marco stimmgewaltig ins Mikrofon, während das ganze Stadion auf dem Kopf steht. Der zu diesem Zeitpunkt hochverdiente Führungstreffer des FCK sorgt für beste Laune und nur zu gerne hätten Marco oder Tom weitere Tore für die Männer in Rot bejubelt. Leider konnte die Überlegenheit in der ersten Halbzeit nicht in weitere Treffer umgemünzt werden, so dass es mit dem 1:0 in die Pause geht.


    Foto: Treffpunkt Betze


    Zumindest für Tom bedeutet die Unterbrechung eine kurze Verschnaufpause. Marco hingegen unterhält sein Publikum weiter und gibt mir in diesem Zusammenhang die Gelegenheit, unser Online-Magazin vorzustellen. Kurz vor Beginn der zweiten Halbzeit teilt mir Marco mit, dass er etwas früher gehen muss und ich seinen Part als Co-Kommentator von Tom dann übernehmen soll. Etwas überrascht versuche ich mich aus der Situation zu retten, doch Marco gibt mir mit einem Augenzwinkern zu verstehen, dass er an dieser Stelle nicht kompromissbereit ist. Ich beruhige mich selbst, rede mir ein, dass ich schließlich nicht auf den Mund gefallen bin und freunde mich mit der Rolle, die in wenigen Minuten auf mich zukommt, etwas an. Wie könnte ich mich besser in die Arbeit der beiden hineinversetzen, als es selbst auszuprobieren?

    Das Ende der eigenen Spontanität


    Dann kommt der große Moment: Afeez Aremu hat seinen Gegenspieler Klemens, wie Menches es ausdrückt, „weggeflext“. Der gerade erst eingewechselte Mittelfeldspieler sieht folgerichtig die rote Karte und Marco nutzt die kurze Spielunterbrechung, um sich zu verabschieden und mir sein Headset zu überreichen. Tom schildert den Zuhörern noch kurz die Situation und bittet mich wenige Spielsequenzen später einen Freistoß für den FCK zu kommentieren. Da stehe ich nun. Headset auf dem Kopf, das Mikro offen und die Menschen wollen etwas hören. So einfach, wie man das manchmal vor dem Radio sitzend vermutet, ist es plötzlich gar nicht mehr. Zaghaft versuche ich das Geschehen und die Position des Balles zu veranschaulichen. Ich beschreibe, wie Tomiak anläuft (später am Abend werde ich feststellen, dass meine Augen der Entfernung nicht mehr ganz so gewachsen waren und es eigentlich Puchacz war) und den Ball relativ zentral auf Gästekeeper Ernst schießt, so dass dieser keine Probleme hat, die Kugel aufzunehmen.


    Es fällt mir von Minute zu Minute leichter, Toms Sidekick zu sein, auch wenn ich das Gefühl habe, relativ oft an die Grenzen meiner Spontaneität zu stoßen. Leider gibt das Spiel seit dem Platzverweis von Aremu nicht mehr viel her, um das FCK-Herz höher schlagen zu lassen. Eher im Gegenteil. Nachdem die Berliner in der zweiten Halbzeit sehr schnell ausgleichen, setzt Kempf mit dem 1:2 in der 81. Minute noch einen drauf. Eigentlich ein Tag zum Vergessen. Allerdings nicht für mich. Ich durfte zwei außergewöhnliche Menschen kennenlernen, die ehrenamtlich einen grandiosen Job machen und dadurch andere Menschen darin unterstützen, eine Barriere abzubauen. Zumindest für 90 Minuten. Respekt für dieses Engagement!