ZitatAlles anzeigenNur kurz wehrt sich Axel Bellinghausen, als ihm Freundin Silly (25) verkündet, dass sich ihre Tierfamilie vergrößert. Rottweiler Chuck und Zwergwidder Fluffy, die im Wohnzimmer einträchtig nebeneinander leben, bekommen schwimmende Gesellschaft: sieben Fische, die „in einem DIN-A-4-großen Aquarium" schwimmen. Sagt Silly, um ihrem Freund das Fischbecken sympathischer zu machen. Die beiden haben sich in Düsseldorf kennen gelernt. Am 11. 11. 2003. „Sechs Wochen später bin ich bei ihr eingefallen", erzählt der Mannschaftskapitän des 1. FC Kaiserslautern lachend.
Seit 2005 lebt das Paar in Kaiserslautern, seit eineinhalb Jahren in einer Doppelhaushälfte im BBK-Park. Vorher haben hier Daniel Graf, Timo Wenzel und Nicolás Pavlovich gewohnt. Am Fuße des Betzenbergs, den er in der Saison 2005/2006 das erste Mal erklomm. Der Fußballprofi lebt auf 150 Quadratmeter über drei Stockwerke verteilt, den roten Sandstein seines Hausbergs vor Augen. Und wenn man es nicht wüsste, könnte man seinen Beruf fast an der Einrichtung erraten: Rot ist die dominierende Farbe im Wohn-/Esszimmer mit offener Küche. Die Couch leuchtet, ein rotes Luftballonherz pendelt über dem Esstisch, über ein Gemälde zieht sich im wahrsten Sinne des Wortes ein roter Faden. Über der Couch ein roter Druck, allerdings in Reminiszenz an eine andere Mannschaft, für die sein Herz schlägt: „Mythos Fortuna", so der Titel des Bildes, das ihn an seine Zeit in Düsseldorf erinnert.
„Ich wollte schon immer Profi werden." Der 25-Jährige lacht viel im Gespräch, erzählt frei von der Leber weg, gibt sich offen. Ein Kumpel, der Gesellschaft liebt, gern unter Menschen geht und stundenlang in geselliger Runde sitzen kann. „Das Pompöse brauche ich nicht." Vor 20 Jahren kam er zum Fußball, genauer gesagt zum TuS 05 Oberpleis. Weil sein Vater, ein Konditormeister, sagte: „Der Jung" muss was machen." Mit Feuer und Flamme jagte er dem Ball hinterher: „Ich merkte schnell, dass das mein Ding ist." Als er zehn war, wurde Bayer 04 Leverkusen auf ihn aufmerksam. Bei einem Hallenturnier in Bonn: „Am Mittelrhein habe ich oft mit Oberpleis für Furore gesorgt." Als Köln-Fan trat er in Leverkusen mit dem Kölner Trikot an. „Die haben dann gesagt: ,Wir nehmen dich, aber lass" das Trikot zu Hause.""
Sein Vater, den er häufig nennt, weil er immer an seiner Seite war, gondelte ihn hin und her, drei- bis viermal die Woche zum Training. Mit 15, 16 klopfte dann die Fortuna an, um ihn zum Probetraining einzuladen. Sieben Jahre hat der willensstarke und ehrgeizige Bellinghausen dort gespielt. Er hat sich wohl gefühlt: Düsseldorf „war familiärer, wie eine Kuscheldecke". Hier hat er seine ersten großen Schritte gemacht: „Leistung war der Weg, um sich Respekt und Anerkennung zu verschaffen." Vielleicht hat der Rheinländer solche tragenden Sätze auswendig gelernt, vielleicht muss man so reden im Fußballgeschäft. Gleichzeitig aber erzählt der Jung-Profi von seinem Zivildienst, den er in Düsseldorf in einer offenen Wohngruppe für geistig Behinderte geleistet hat. „Das war die Lebenserfahrung schlechthin." Spaß hat ihm die Arbeit gemacht, viel gelernt hat er, wie er sagt.
Beides sind authentische Sätze. Authentisch ist ein Wort, das er gern benutzt, das ihm wichtig ist. Er will authentisch sein, will glaubwürdig rüber kommen. Chuck schleudert lässig einen Knochen über den Boden, während sein Herrchen mit Verve aus seinem Leben erzählt. Bellinghausen gibt sich als Kämpfernatur, einer, der"s allen zeigen will, gerade dann, wenn die Chancen schlecht stehen. „Euch zeig" ich"s", heißt sein Motto in solchen Zeiten.
Olaf Marschall rief bei seinem Vater an, um das Interesse des FC Kaiserslautern zu bekunden. „Bei uns im Rheinland muss man nicht alles glauben, was einem einer sagt", erklärt Bellinghausen seine Reaktion, nachdem ihm sein Vater von dem Telefonat erzählt hatte. Münchhausen lässt grüßen, dachte er. Der damals 21-Jährige war mit seinem Verein gerade in die Regionalliga aufgestiegen, hatte seinen Vertrag verlängert und er hatte Zweifel. Ein halbes Jahr später: „Der FCK hat immer noch reges Interesse an dir." Und spätestens jetzt war dem Jungtalent klar: „Das ist deine Chance, Profi zu werden."
Hat Kaninchen Fluffy gerade die Ohren gespitzt? Nee, es wühlt wieder im Sägemehl. Kennt die Geschichte wahrscheinlich schon. Seit Anfang des Jahres ist der Mann mit dem Motto „Kämpfen kann man immer" Kapitän des Lauterer Vereins. Er hat in einer schwierigen Phase das Amt übernommen, schwärmt jedoch so von seinem Team, einer homogenen Mannschaft, dass er sagt: „Die brauchen keinen Kapitän." Bellinghausen fasst sein Amt als „Auszeichnung und Ehre" auf. Ein Kapitän ist das Sprachrohr für die Mannschaft, definiert er seine Rolle. Wenn"s schlecht läuft, auch der Strohhalm.
Was er geworden wäre, wenn nicht Fußballer? „Die Frage hat sich nie gestellt. Ich kann nichts außer Fußball", sagt er übers ganze Gesicht feixend. „Handwerklich bin ich eine Voll-Null." Das macht ja nichts. Es gibt Leute, die haben zwei linke Hände und Fußballspielen können sie auch nicht.
Quelle:
Verlag: DIE RHEINPFALZ
Publikation: Pfälzische Volkszeitung
Ausgabe: Nr.215
Datum: Samstag, den 13. September 2008
Seite: Nr.17
"Deep-Link"-Referenznummer: '4036395'
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