3 Artikel aus der heutigen Rheinpfalz:
Schlüssige Regeln
Von Winfried Folz, Berlin
Merkel und die Ministerpräsidenten müssen die Corona-Maßnahmen
gut erklären. Nur dann können sie auf Akzeptanz hoffen.
Ein persönlicher Eindruck: Das gute Wetter am Wochenende hat viele Menschen dazu verleitet, wieder in alte Muster zu verfallen. Man traf sich in größeren Gruppen, begrüßte sich, ohne Abstand zu wahren, verzichtete weitgehend auf einen Mundschutz. Es kam so, wie es die Kanzlerin schon vorige Woche prophezeit hatte: Die Disziplin der Bürger ließ nach.
Menschlich ist das verständlich. Nachdem Gesundheitsminister Jens Spahn davon sprach, die Corona-Krise sei nun „beherrschbarer“ geworden, gab es für viele, auch für manche Ministerpräsidenten, kein Halten mehr. Die vorsichtige Lockerung der Kontaktbeschränkungen wurde großzügig ausgelegt. Spahns Satz war jedoch töricht, er suggeriert, dass man quasi per Knopfdruck in das alte Leben zurückkehren könnte. Doch das wäre so, als würde man den Finger von einem Leck in der Wasserleitung nehmen: Das Unglück begönne wieder von vorn.
Dass es zu dieser Stimmung kommen konnte, ist auch von der Kanzlerin und den Ministerpräsidenten mitverschuldet. Gut erklärt haben sie die von ihnen gefassten Regeln nicht, weder die für die teilweise Öffnung der Läden noch die für die Schulen. Wer das nicht vermag, kann auf Akzeptanz nur bedingt hoffen. Hat die Krisenkommunikation in den ersten Wochen noch funktioniert, scheint sie der Kanzlerin gerade aus dem Ruder zu laufen. Ihre scharfe Kritik an den „Öffnungsdiskussionsorgien“ ist ihr Versuch, die eigene Autorität zu wahren.
Die grantige Frau Merkel
Die Kanzlerin fühlt sich genötigt, in der Corona-Krise an die Vernunft der Bürger zu appellieren
Von Winfried Folz, Berlin
Angela Merkel macht sich große Sorgen, dass sich die Menschen nicht mehr so stark an die Kontaktbeschränkungen halten und sich so die positive Entwicklung der vergangenen Wochen wieder umkehrt. Im CDU-Präsidium wurde Merkel diesbezüglich sehr deutlich.
Wenn es einer Beschreibung bedürfte, wie Merkel sich eine ideale Corona-Strategie vorstellen würde, müsste man auf Ex-Kanzler Gerhard Schröder (SPD) zurückgreifen. Der hatte nämlich einmal die „Politik der ruhigen Hand“ ins Spiel gebracht. So beschrieb Schröder seine Absicht, auf kurzfristige wirtschaftliche Entwicklungen nicht überstürzt zu reagieren. Im Grunde sieht es Merkel bei Corona genauso. Man könnte auch von der Politik der kleinen Schritte sprechen, die vor allem aus einem Grund jetzt angebracht ist.
Merkel will verhindern, dass es bei den Infektionszahlen einen Rückfall gibt. „Das wäre jammerschade“, sagte sie gestern im Kanzleramt bei einer eher überraschend anberaumten Pressekonferenz. Der Sinn dieses Auftritts erschließt sich aus dem vorangegangenen Disput im CDU-Präsidium. Aus dieser Telefonkonferenz am Morgen wird Merkel mit dem Begriff „Öffnungsdiskussionsorgie“ zitiert.
Dahinter verbirgt sich der Ärger der Kanzlerin über die breite Auslegung der vorige Woche getroffenen Beschlüsse durch manche Ministerpräsidenten – allen voran Armin Laschet aus Nordrhein-Westfalen. Eine Rolle spielt allerdings auch die Kakophonie aus Parteien und Verbänden, die mit Blick auf die ökonomischen Verwerfungen im Handel, in der Gastronomie und dem Hotelgewerbe auf weitreichende Rücknahmen der Kontaktbeschränkungen drängen.
Man wolle dem nachkommen, tastet sich Merkel in ihrer Ansprache voran, aber „schrittweise, langsam und vorsichtig“. Merkel hat vor der Disziplin der Bürger großen Respekt und spricht den Deutschen dafür ihren Dank aus. Doch man müsse eben „wieder und wieder“ klar machen, dass das Land erst am Anfang einer Pandemie stehe.
Merkel will eine Illusion zerstören, jene von der heilen Welt, die man bald wieder zurückhaben werde. „Wir stehen auf dünnem Eis, wir dürfen durch die Lockerungen nicht zulassen, dass es einen erneuten Shutdown gibt.“ Was Merkel gestern nicht ausdrücklich sagte, was aber quasi als überwölbende Botschaft ihrer Politik zu verstehen ist: „Ich weiß, dass es hart ist, aber es rettet Menschenleben.“ Ein Satz aus ihrer Fernsehansprache vor einem Monat.
Die Kanzlerschelte im CDU-Präsidium hat in der politischen Landschaft Protest ausgelöst. Die AfD beklagte, Merkel wolle das offene Gespräch über die Corona-Maßnahmen verbieten. FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg zeigte sich verwundert. „Diskussionen gehören zur Normalität der Demokratie. Und wenn sich Landespolitiker Gedanken machen über sinnvolle Öffnungsstrategien, diskutieren über die Verhältnismäßigkeit von Grundrechtseingriffen und über die Existenzsorgen, die Menschen plagen, dann verdient das Respekt und nicht Verächtlichmachung.“
Auch der rheinland-pfälzische Wirtschaftsminister Volker Wissing (FDP) empörte sich: „Hätte Frau Merkel klare schlüssige Regeln für einen umfassenden Corona-Schutz in Geschäften und Betrieben statt eines wenig überzeugenden Öffnungs-Schließungs-Sammelsuriums vorgelegt, gäbe es auch keine Öffnungsdiskussionsorgien.“
Wissing unterschlägt allerdings, dass auch die Ministerpräsidenten vorige Woche an den Beschlüssen beteiligt waren, unter anderem auch die rheinland-pfälzische Regierungschefin Malu Dreyer (SPD).
Corona-Impfstoff:
Schweizer Forscher
macht Hoffnung
Von Jan Dirk Herbermann, Genf
Im weltweiten Rennen um einen Corona-Impfstoff rechnet sich der Schweizer Immunologe Martin Bachmann gute Chancen aus. Ab Oktober könnten zuerst die Menschen in der Schweiz seinen neuen Impfstoff erhalten, ab Februar 2021 solle der „Rest der Welt“ gegen die Atemwegserkrankung Covid-19 immunisiert werden.
„Wir könnten einer der Ersten sein, wenn nicht der Erste“, sagte Martin Bachmann, der Leiter Immunologie am Universitätsspital Bern, am Montag in einer Videokonferenz mit Journalisten. Die Weltgesundheitsorganisation WHO kalkulierte noch im Februar mit einer Zeitspanne von 18 Monaten, bis die Menschen mit einem Impfstoff versorgt werden könnten. Inzwischen arbeiten Dutzende Forscherteams mit Hochdruck an der Entwicklung eines Impfstoffes gegen das Corona-Virus. Und mit jedem Tag der Pandemie steigt die Dringlichkeit.
Ein Grund für Bachmanns Zuversicht liegt in flexibleren Zulassungsregeln in der Eidgenossenschaft angesichts der globalen Krise: „Die Schweiz hat eine Geschichte als eher pragmatisches Land.“ Das Team des Professors steht im Kontakt mit dem Schweizer Bundesamt für Gesundheit, der Weltgesundheitsorganisation und tauscht sich mit anderen Laboren und Institutionen aus, darunter in China.
Ebenso versichert Bachmann, dass sein Team schon weit vorangekommen ist. Testreihen mit Tieren seien erfolgreich verlaufen. Ziel muss es laut Bachmann sein, dass der entwickelte Stoff die Menschen sehr wirksam schützt. Zudem solle der Stoff optimal für ältere Menschen sein und Sicherheit gegen Nebenwirkungen und andere Komplikationen bieten. Sein Team braucht für das Projekt rund 95 Millionen Euro. Dabei hofft Bachmann auf gemeinnützige Spenden.
Bachmanns Serum basiert auf sogenannten virus-ähnlichen Partikeln, die nicht infektiös sind. Derzeit würden Gespräche mit Pharma-Herstellern über eine Massenfertigung geführt, in Frage kämen die Firmen Lonza und Novartis. „Wir planen, in der Schweiz zu produzieren.“ Auf die Frage, ob eine kostenlose Bereitstellung des Impfstoffes geplant sei, gab sich Bachmann zurückhaltend.