Andree Wagner: "Der Betze ist zu Teilen das, was man immer ablehnte"
- Dirk
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Andree Wagner ist eines der bekannteren Gesichter, das die Lautrer Westkurve hervorbrachte. Der gebürtige Pirmasenser erlebte die zweite Hälfte der 80er, die glorreichen 90er und den beginnenden Absturz des 1. FC Kaiserlautern in den 2000ern, hautnah aus Block 8 mit. Er leistete als aktiver „Westkurvler“ seinen Beitrag an dem Fanzine Playball und engagierte sich in der Vereinspolitik. Vom SWR wurde er sogar zum Mittelpunkt einer Kurzreportage gemacht - das Bild vom jubelnden Andree beim Titelgewinn 1998 ging um die Welt. Der mittlerweile 47-jährige Inhaber einer Unternehmensberatung war aus beruflichen Gründen jahrelang im asiatischen Raum unterwegs. Aber echte Liebe kennt keine Entfernung und so floss das Lautrer Herzblut auch fernab der Heimat weiter durch Andrees Adern. Mittlerweile ist er wieder zurück in seiner pfälzischen Heimat und stellte sich den Fragen von Treffpunkt Betze.
„Lediglich die Auswärtsdauerkarte muss ich mir noch zulegen“
Treffpunkt Betze: Hallo Andree. Du warst aus beruflichen Gründen etwa 15 Jahre im Vietnam, in Indonesien und in China unterwegs. Seit Weihnachten bist du wieder zurück in „good old Germany“. Hast Du Deine Rückrundendauerkarte schon gekauft?
Andree Wagner: Nein, die muss ich nicht kaufen. Ich habe zwei Dauerkarten in Block 8 und die habe ich auch nach meinen Umzügen nach Asien nie aufgegeben. Das wäre ja als würde man vor einem zweiwöchigen Mallorca-Urlaub sein Haus verkaufen.
Lediglich die Auswärtsdauerkarte muss ich mir noch zulegen. Dank der Euphorie im Umfeld ist es aber Gott sei Dank wieder schwierig(er), eine Karte für FCK-Spiele zu ergattern. Ich bin sehr froh, dass mich meine Freunde in der Westkurve nicht vergessen haben und mir fürs Erste eine Karte für Hannover organisiert haben. An dieser Stelle ein Dankeschön an die liebe Anja.
„Was hat sich ein Uli Hoeneß bei uns früher anhören müssen?“
Treffpunkt Betze: Würdest Du mit etwas Abstand betrachtet sagen, dass sich die Fanszene verändert hat und wenn ja, in welche Richtung?
Andree Wagner: Die Fanszene hat sich natürlich in eine Richtung entwickelt, die ich als Kind der 80er Jahre sehr bedauere. Als Fußballromantiker trauere ich den alten Zeiten schon etwas hinterher. Zum einen hat in der deutschen Sprache eine „Political Correctness“ Einzug gehalten, bei der man nicht mehr weiß, ob man lachen oder weinen soll. Dinge, die noch vor 10, 20 oder 30 Jahren normal waren, kann man nicht mehr sagen. Und das überträgt sich ins Fußballstadion. Mittlerweile werden sogar Spiele unter-, bzw. auch abgebrochen, weil Plakate etwas aussagen. Das ist eine brandgefährliche Entwicklung, denn wie leicht lässt sich dann ein Spiel manipulieren? Die Lautrer liegen hinten und ich hänge in der gegnerischen Kurve ein rassistisches Plakat gegen den FCK aus - schon sind die Punkte am Betzenberg. Was soll der Quatsch?
Was hat sich ein Uli Hoeneß bei uns früher anhören müssen? Was haben ein Basler, als er bei Bayern war, ein Effenberg, ein Koeman beim Spiel gegen Barcelona oder ein Karlheinz Bührer über sich ergehen lassen müssen? Wenn die Typen nur auftauchten hatte man nicht nur in der Westkurve das bildlich gesprochene Messer zwischen den Zähnen und die Leute gingen die Zäune hoch. Wenn Du Dir heute erlaubst, einen Spieler, der ggf. einen Migrationshintergrund hat, auszupfeifen, wirst Du als Kurve in eine politische Ecke gedrängt - und der Verein zur Kasse gebeten.
Ein weiteres Problem ist natürlich die Größe des Stadions. Früher war das Stadion klein, die Rentner saßen direkt hinter dem Linienrichter und der wusste, was ihm blüht, wenn die Fahne im falschen Moment hochging. Ehemalige Spieler berichteten darüber mit einem Schmunzeln. Die Westkurve war eng und klein und wenn man als Fan im Block ein lautes „Kaiserslautern“ schrie, reagierte der Trommler vor dem 8er Block (an dieser Stelle einen Gruß an die Trommlerlegende Alfred Weyl und die Frage, wo er ist und wie es ihm geht?) und sofort war die ganze Kurve dabei. Schrie oben unterm Dach einer „Heeeeeejaaaaaa“, so stimmte sofort der gesamte Mittelteil der Westkurve in ein brachiales „Heja Heja FCK“ ein und die Westkurve trieb die Spieler an.
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Heute ist der Betze leider zu Teilen das, was man immer ablehnte. Eine große Betonschüssel, bei der sich die Stimmung des einzelnen verliert. Dadurch ist man auf eine Megafonanlage angewiesen, um die Kurve einigermaßen zu koordinieren. Auch wenn ich kein Fan solcher Hilfsmittel bin, so muss ich eingestehen, dass es technisch notwendig ist, um eine einheitliche Unterstützung bieten zu können. Die Herrschaft über diese Anlage haben die Ultras. Gute ehrliche Jungs, die gigantische Arbeit rund um den Fußball leisten. Leider merken sie aber nicht, dass sie teilweise auch die Stimmung zerstören, weil sie mit einem neumodischen Liedrepertoire viele ältere Fans verärgern und damit über Jahre einen Keil in die Kurve getrieben haben. Dazu kontrollieren sie die Haupttrommel, die für eine Kurve unabdingbar ist. Doch hier ist das Problem, dass die Trommel heutzutage der Stimmungskiller der Westkurve ist, weil der Trommler keinerlei Taktgefühl hat, mit zwei Stöcken trommelt, was ein no-go ist, und die Stimmung im Keim erstickt.
Die Macht und die Durchschlagskraft gingen teilweise etwas verloren. Und wenn die Stimmung auch nach wie vor noch super ist, wenn 35.000 Zuschauer den FCK nach vorne brüllen, man kann dem Gegner nicht mehr die Angst einjagen, wie es früher noch üblich war. Natürlich bin ich froh, dass derzeit eine wahnsinnige Euphorie herrscht und diese Probleme durch die hervorragende Stimmung ins Abseits gedrängt werden. Nichtsdestotrotz sollten sich Jung und Alt mal zusammensetzen und einen offenen Meinungsaustausch führen.
„Man hat das Gefühl, die da unten können Berge versetzen“
Treffpunkt Betze: Du hast in einer SWR-Reportage die berühmt berüchtigte Unzerstörbarkeit des FCK, die aus dem engen Zusammenhalt von Fans und Mannschaft entsteht, einst wie folgt umschrieben: „Man hat niemals das Gefühl gehabt, der FCK ist angreifbar. Weil wir waren ja alle da. In der Kurve sagte man sich: Mensch, wir können ja alle mithelfen! Wenn wir lauter schreien, läuft der auf der linken Seite schneller und der auf der rechten Seite bringt die Flanke präziser rein. Und es hat immer wieder geholfen.“ Glaubst Du, dass der zwölfte Mann immer noch diese Bedeutung für den Erfolg der Mannschaft hat?
Andree Wagner: Ich denke, dass das letzte Jahr und insbesondere die letzten Monate gezeigt haben, dass die Fans eine Bedeutung haben wie eh und je - was auch der große Unterschied vom Betzenberg zu anderen Stadien ist. Wenn dieses Stadion in Bewegung kommt, auch wenn es leider seit der WM 2006 nicht mehr der enge Betze von früher ist, wenn die Masse zur geschlossenen Einheit wird, dann kommt nicht nur eine Gänsehaut und Adrenalin bei den Fans - es entsteht etwas, dem sich auch die Spieler nicht entziehen können und man hat das Gefühl, die da unten können Berge versetzen.
Der Betze hatte immer diese Magie. Wir hatten Mannschaften, an denen sich das Publikum – Entschuldigung für die Wortwahl – regelrecht aufgegeilt hat. Und wir hatten Spieler, die wiederum dieses Publikum brauchten, um Höchstleistungen zu bringen, um den Gegner zu überlaufen und zu überrennen. Wenn Fans und Mannschaft und noch wichtiger die Vereinsführung eine Einheit bilden, dann sehen wir das, was wir alle kennen: die Bastion Betzenberg.
Seit Jäggis Zeiten, sprich seit mittlerweile 20 Jahren, wurde der Verein kontinuierlich seziert und kaputtgeredet. Natürlich mit dem Ziel, den Verein zur Kapitalgesellschaft umzuwandeln, damit man ihn sich billig unter den Nagel reißen kann. Viele Fans haben das leider nie verstanden. Wenn man aber aus der Wirtschaft kommt, dann weiß man, wie solche Prozesse funktionieren und wie bei Ausgliederungen abkassiert werden kann. Eine Ausgliederung selbst dient nicht nur ausschließlich des Erschließens von Geldquellen zum Wohle des Vereins, sondern es bietet verstärkt Möglichkeiten, dass sich Leute die Taschen privat vollstopfen. Hinzu kam, dass auf Vorstandspositionen oder in den Aufsichtsräten stellenweise Personen saßen, die dem Verein regelrecht schadeten. Es waren Leute, denen es fast nur um das eigene Ego und um die Tatsache, sich mit einem FCK-Mandat in der Öffentlichkeit wichtig machen zu können, ging.
Dass Spieler, Nachwuchskräfte und das Umfeld wieder richtig Bock auf den FCK haben, liegt aber nicht nur an der Einheit im Stadion. Wenn ich sehe, was beispielsweise der Förderverein NLZ, der von Fans initiiert wurde, auf die Beine gestellt hat, was andere Fans hier spenden und wieviel Herzblut da drinsteckt, dann kann ich nur den Hut ziehen. Wahnsinn Jungs, Chapeau! Neben den sportlich Verantwortlichen gibt es viele weitere kleine Mosaiksteinchen, die zum jetzigen Erfolg geführt haben.
Quelle: Treffpunkt Betze
Quelle: Treffpunkt Betze