Diskussionsthema zum Artikel: "Der Abstieg war wirklich grausam"
"Der Abstieg war wirklich grausam"
Teil II unserer Woche der Freundschaft. Diesmal im Gegner-Interview: Ein eingefleischter Anhänger der Löwen über Münchens Abstieg in die Regionalliga und die Bedeutung von Investoren im Profifußball.
Grünwalder Straße. Sechzig und der FCK. Münchner Löwen gegen Rote Teufel. Fußballherz, was willst du mehr?
Arik Steen ist langjähriger Sechziger, Redaktionsmitglied beim Löwenmagazin und Vertreter der Fanorganisation Löwenmagazin e.V. Im Zuge unserer „Woche der Freundschaft“ spricht Arik im Interview mit Treffpunkt Betze über die heutige Fanfreundschaft, Münchens Abstieg in die Regionalliga und die Bedeutung von Investoren im Profifußball.
Treffpunkt Betze: Hallo Arik. „Egal wohin du gehst, wir kommen mit“ war beim Abstieg des FCK in die dritte Liga im Lautrer Gästeblock zu lesen. Treffpunkt Betze existiert zwar schon seit gut einem Jahrzehnt, mit unserem Online-Magazin sind wir allerdings erst mit Beginn der neuen Drittliga-Saison an den Start gegangen. Scheinbar hat uns dieses Plakat beim Auswärtsspiel in Bielefeld inspiriert. Wie sieht es beim Löwenmagazin aus? Wie lange gibt es euch schon und wie sehen eure Aktivitäten aus?
Arik: Am 20. Mai 2017 wurde das Löwenmagazin gegründet, also fast zeitgleich mit dem sportlichen Abstieg in die dritte Liga und dem Zwangsabstieg in die Regionalliga. Derzeit sind wir sind ein 6-köpfiges Redaktionsteam, welches aus dem Fanblock heraus über alle täglichen Aktivitäten rund um den TSV berichtet. Zudem haben wir mit dem Löwenmagazin einen e.V. gegründet, der inzwischen über 100 Mitglieder zählt. Darüber organisieren wir unterschiedliche Fan-Aktivitäten.
Die Stimmung auf dem Betze - "das ist schon genial"
Treffpunkt Betze: Hinrunden-Auftakt in Liga 3. Rote Teufel gegen Münchner Löwen. Wie war es für euch Sechziger, mit über 5.000 Fans zu einem 400km entfernten Drittligaspiel zu fahren? (solch einen Support gibt es selbst in der Bundesliga nur selten)
Arik: Wir sind mit einer Gruppe von 50 Leuten zum Betzenberg gereist. Und
das war wirklich eine tolle Sache. Allein die Tatsache dort
hochzugehen, das ist schon genial. Diese Atmosphäre auf dem Weg nach
oben zu spüren, allein das war schon ein besonderes Highlight. Auch
mit den FCK-Fans war im Vorfeld des Spiels alles sehr freundlich.
Treffpunkt Betze: Wie hast du die Stimmung im Stadion wahrgenommen?
Arik: Die Stimmung im Stadion war insgesamt genial, natürlich auch von unserer Seite aus mit all den mitgereisten 60ern. Ich muss allerdings gestehen, dass ich es dann im Stadion gar nicht mehr so freundschaftlich fand. Gut, letztlich ist es aber auch Fußball, und gehört sicherlich auch ein Stück weit dazu.
Treffpunkt Betze: War diese einstige Fanfreundschaft für dich an diesem sommerlichen Abend Ende Juli irgendwie (er-)spürbar?
Arik: Im Stadion war es gar nicht so wie ich es erwartet habe. Wirklich spürbar war die Freundschaft während des Spiels tatsächlich nicht, da hatte die Rivalität durchaus überwogen. Es war ja letztlich aber der Auftakt in die neue Saison. Beide Vereine mussten sich erst mal neu sortieren.
Wo die Freundschaft allerdings wieder sehr stark spürbar war, war nach dem Spiel, als wir in der Stadt waren. Da war die Stimmung sehr freundschaftlich, auch von der jüngeren Fans her. Wir haben gemeinsam gesungen und „Bier-Meter“ getrunken, was nebenbei bemerkt für uns in München total abwegig ist, denn wir haben nur halbe Liter. Vor und nach dem Spiel war‘s wirklich super.
Treffpunkt Betze: Welchen Stellenwert hat die Fanfreundschaft heute noch im Umfeld der 60er Löwen?
Arik: Ich kenne zwar einige Lautrer, und hin und wieder steht man auch gemeinsam im Block, aber insgesamt interessiert mich persönlich diese Fanfreundschaft eigentlich gar nicht so stark. Am Ende ist es von Fan zu Fan natürlich unterschiedlich. Es gibt welche, die pflegen das sehr stark und welche, die pflegen das weniger. Es scheint eine gute und gesunde Mischung zu sein. Ich glaube am Ende hat jeder seinen eigenen Verein, auch wenn es immer wieder Situationen gibt, in denen man mit dem jeweils anderen Verein mitleidet.
Treffpunkt Betze: Einst war der Club von der Grünwalder Straße wie der FCK auch ein Bundesliga-Verein. Wie war das Jahr in der Regionalliga aus Fansicht? (man könnte von außen den Eindruck gewinnen, der doppelte Abstieg mit Gastspielen in der Provinz und der Rückkehr ins Grünwalder Stadion sei eines der besten Jahre der jüngeren Vereinsgeschichte gewesen)
Arik: Der Abstieg war wirklich grausam. Zu Beginn haben wir die Spielzeit in der Regionalliga eher spöttisch genommen. Es war natürlich keine einfache Zeit für uns Fans, aber wir haben gelernt damit gut leben zu können. Und es hat zeitweilig wirklich sehr viel Spaß gemacht durch die bayerischen Dörfer zu tingeln. Da gab es ein Auswärtsspiel, das hatte schon was von Woodstock, tausende Fans haben gemeinsam gefeiert. Aber für uns war es immer mit dem Hoffnung verbunden, dort so schnell es geht raus zukommen und wieder aufzusteigen. Ein zweites Jahr in der Regionalliga hätten wir alle zwar immer noch mitgemacht, da bin ich überzeugt, aber es hätte uns nicht gut getan. Spaß zu haben ist die eine Seite, aber letztendlich wünscht du dir immer den Erfolg für deinen Verein.
In der Regionalliga zusammengewachsen
Treffpunkt Betze: Ist es aus deiner Erfahrung überhaupt möglich, auch in der Regionalliga die selbe Identität und Leidenschaft für seinen Verein aufzubringen?
Arik: Der Vorteil beim Abstieg war, dass die Fans eine „jetzt erst recht“
Mentalität aufgebracht haben. Wir hatten zunächst einen
unglaublichen Mitgliederzuwachs im Verein, um die 2.000 – 3.000
neue Mitglieder, allein nach dem Abstieg. Viele haben mit sich mit
dem TSV solidarisiert und es war tatsächlich eine Aufbruchstimmung
spürbar. Für die gesamte Fangemeinschaft ist da schon etwas
wichtiges zusammengewachsen. Aber ganz ehrlich: Einfach zu stemmen
war das alles nicht.
Treffpunkt Betze: Der FCK hat große finanzielle Schwierigkeiten. Derzeit ist nicht klar, ob sich der Verein überhaupt ein zweites Jahr in Liga 3 leisten kann. Ein Zwangsabstieg ist demnach auch möglich. Siehst du im Abstieg in die Regionalliga eine Chance, dass sich ein kriselnder Verein tatsächlich erholen kann?
Arik: Mental und moralisch ja – finanziell nein. Wenn du das Ziel verfolgst, zurück zu kommen und in die zweite Liga aufsteigen willst, dann hast du immer noch diese dritte Liga dazwischen, die finanziell einem Grab ähnelt. Unser Abstieg hat nicht zur finanziellen Gesundung beigetragen. Ganz im Gegenteil, es hat sogar deutlich zu einem weiteren Minus beigetragen.
Treffpunkt Betze: Ein Absturz hat meist mehrere Gesichter. Wo siehst du die Fehler, die in München gemacht wurden?
Arik: Sportlich betrachtet hat man eine Truppe zusammengekauft, die mit dem Verein nicht identifiziert Man hat insgesamt zu viel gewollt, und sowohl der Verein als auch der Gesellschafter tragen eine Mitschuld. Fakt ist, man hat sich völlig übernommen und zu viel Geld in neue Spieler investiert. Mit der Art Fußball zu spielen und mit dieser Mannschaft konnte man einfach auch in Liga 2 nicht bestehen.
Treffpunkt Betze: Die finanzielle Situation des Verein kam also noch erschwerend dazu.
Arik: Richtig. Im Normalfall wären wir nur in die dritte Liga abgestiegen.
"Ein Fußballverein darf auf keinen Fall zum Spielball der Investoren werden"
Treffpunkt Betze: Das Thema „Investor“ spielt ja beim TSV nochmal eine besondere Rolle. Auch in Kaiserslautern ist inzwischen klar, dass es ohne Investitionen von außen nicht mehr reichen kann. Wie lebt man in München mit diesem Diskurs?
Arik: Ich bin der Meinung, dass diese knallharte Haltung und Einstellung gegen die Unterstützung von Investoren auch nicht der richtige Weg ist. In München hat sich das allerdings aus einer Konsequenz heraus entwickelt. Es gab die Angst, dass die 50+1 Regelung fallen wird. Ich glaube, dass die Zusammenarbeit mit Investoren solange nicht funktioniert, solange man wirklich nicht sicher sein kann, dass 50+1 bleibt. Noch letzte Woche gab es den Fall in Viktoria Berlin, da hat der chinesische Investor nicht gezahlt und der Verein musste Insolvenz anmelden. Das ist hart. Ein Fußballverein darf auf keinen Fall zum Spielball der Investoren werden. Es ist nicht einfach ein beliebiges Unternehmen, sondern da steckt für viele Menschen Herzblut drin. Daher muss es die Aufgabe sein, Vereine davor zu schützen, sodass Investoren nicht zu viel Einfluss bekommen.
Treffpunkt Betze: Aufsichtsratsmitglied und Löwen Präsident Robert Reisinger gab vor wenigen Tagen seinen Rücktritt aus dem Aufsichtsrat bekannt. Dem voran ging eine scheinbar sehr zögerliche Zahlung der Familie Ismaik. In der Austrittserklärung war sogar die Rede davon, dass „ein Gesellschafter hoch pokert“. Entwickelt sich die Zusammenarbeit mit dem Gesellschafter zu einer „never ending story“? Besteht für dich die Hoffnung, dass auch in München irgendwann Ruhe einkehrt?
Arik: Eine „never ending story“? Das ist eine gut Frage. Wir hoffen natürlich, dass sich in der Zusammenarbeit irgendwann eine zufriedenstellende Lösung abzeichnet. Der Rücktritt von Robert Reisinger stellt letztlich nur eine Neustrukturierung im e.V. dar. Denn Reisinger bleibt sowohl geschäftsführender Präsident im e.V. als auch Mitglied im Beirat der Kapitalgesellschaft. Jetzt rückt ein anderen Kandidat in den Aufsichtsrat nach, der zeitlich im Verwaltungsrat des e.V. sitzt. Ich glaube, da wird von außen in diesen Rücktritt zu viel hinein interpretiert, denn damit verbunden ist weder eine Drohung noch möchte man den Investor damit verärgern. Die Zahlung wurde herausgezögert, das stimmt. Und das ist eine Gefahr für den Geschäftsführer, da er ja auch zeitgleich für die wirtschaftliche Planung haftet. Und diese Gefahr möchte der e.V. zukünftig vermeiden, um größere Risiken wie eine potentielle Insolvenz zu minimieren. Deswegen werden in Zukunft keine Versprechungen mehr angenommen, sondern wirklich nur getätigte Zahlungen.
Treffpunkt Betze: Glücklicherweise klappte es dann bei der Relegation mit dem Aufstieg in Liga 3. Was bedeutet es heute für dich, Fan von 1860 zu sein?
Arik: Ich tue mir derzeit schwer damit, das Spielerische auf dem Platz zu verstehen. Es muss sportlich einfach passen und ich wünsche mir von Seiten der Spieler deutlich mehr Identität. Das war in der Zeit der Regionalliga deutlich besser zu spüren. Und dennoch macht es weiterhin Spaß Fan des Vereins zu sein. Wir erleben in der dritten Liga entweder neue Stadien oder Stadien, die wir von früher kennen. Das letzte Mal als ich beispielsweise in Lautern war, war ein Spiel gegen Stuttgart.
Treffpunkt Betze: War es das 3:3?
Arik: Ja, das kann sein.
Treffpunkt Betze: Ein Wahnsinnsmatch.
Treffpunkt Betze: Auf kurz oder lang muss das Ziel ja ebenfalls „Aufstieg in Liga 2“ lauten, oder?
Arik: Natürlich. Man spricht in München von 2-3 Jahren.
Treffpunkt Betze: Zu einer Besonderheit in Liga 3 zählen gewiss einige ältere oder kleinere Spielstätten Da wären beispielsweise Münster, Köln oder Osnabrück zu nennen, und natürlich auch das Stadion an der Grünwalder Straße. Ein Rückkehr in die Allianz Arena gilt als ausgeschlossen. Wie stehen die Chancen, dass die Sechziger ihr Stadion behalten und es vor allem ausbauen können?
Arik: Ich denke, dass der Verein einen sehr genauen und sehr guten Plan erarbeitet hat, den er auch fristgerecht der Stadt vortragen kann. Ich denke, dass der Plan das Stadion aus- und umzubauen schrittweise vollzogen wird. Es wird also keinen kompletten Stadionneubau geben, man wird einzelne Kurven Stück für Stück ausbauen und Logen einbauen. Von Seiten der Stadt wurde allerdings mit 30.000 Zuschauerplätzen eine sehr genaue Ausbaugrenze definiert.
Treffpunkt Betze: Weg vom TSV, hin zum Betzenberg: Wie verfolst du den FCK aus der Ferne? Und wie beurteilst du den FCK in seiner derzeitigen Entwicklung?
Arik: Ich verfolge den FCK natürlich nicht so aktiv wie 1860. Ich bekomme die Entwicklungen in Lautern vor allem durch Fans mit, die ich kenne und kennen gelernt habe. Und da spürt man, dass auch beim FCK viel Frust dabei ist. Ich habe vom FCK zu Beginn der Drittligasaison deutlich mehr erwartet und für mich gehörte der Verein ganz eindeutig zu den Aufstiegsaspiranten. Und beim Liga-Auftakt auf dem Betze dachten wir Münchner, wenn wir das erste Spiel gewinnen, dann hätten wir schon mal den Aufstiegskandidaten schlecht hin ins Wanken gebracht.
Treffpunkt Betze: Nun steht mit dem 20. Spieltag unser gemeinsamer Jahresabschluss bevor. Der FCK hat mit Sascha Hildmann einen neuen Trainer an der Seitenauslinie. Kommt der FCK zu einem eher ungünstigen Zeitpunkt nach München?
Arik: Es gibt im Fußball keine ungünstigen Zeitpunkte. Wir wollen das Spiel natürlich gewinnen und ich bin mir sicher, dass die Mannschaft das genauso sieht. Bei unserem Trainer Daniel Bierofka sind zwar nicht alle Entscheidungen immer nachvollziehbar, gerade wenn es um Aufstellungen oder Einwechslungen im Spiel geht. Aber eine Sache muss man ihm lassen: Er lässt sich unter keinen Umständen davon beeinflussen, unter welche Bedingungen eine gegnerische Mannschaft zum Spiel anreist. Demnach wird es für den Trainer als auch für die Mannschaft keine Rolle spielen, dass der FCK einen neuen Trainer hat.
Treffpunkt Betze: Ihr plant und organisiert einen „Fantreff der Freundschaft“. Was hat es damit auf sich? Und was dürfen die hoffentlich zahlreichen Besucher erwarten?
Arik: Der Fantreff der Freundschaft im Giesinger Bräu wird eine ganz tolle Sache, eingeladen sind alle interessierten Sechziger und Lautrer. Wir haben mit Lustfinger (Gründung 1981) eine der ältesten Punkbands Münchens dabei. Der Fantreff beginnt um 10 Uhr, Lustfinger werden um 11 Uhr auftreten. Im Anschluss geht es zusammen zum Stadion in der Grünwalder Straße.
Treffpunkt Betze: Zum Abschluss darf diese Frage natürlich nicht fehlen. Dein Tipp zum Spiel?
Arik: Ich wünsche mir für Lautern auf jeden Fall ein Auswärtstor. Deswegen sag ich 2:1 für uns.
Treffpunkt Betze: Wir bedanken uns für das Gespräch und wünschen dir, allen Sechzigern und Lautrern eine tolle freundschaftliche Begegnung sowie ein spannendes und gutes Spiel am Samstag.
Quelle: Treffpunkt Betze