Teil 3: Interview mit Erwin Ress.
kadlec: Guten Tag Herr Ress! Darf man sie gleich zu Beginn nach ihrem Alter fragen?
Erwin Ress: „Kein Problem. Ich bin mittlerweile 48 Jahre alt.“
kadlec: Wollten sie von Anfang an Streetworker werden?
Erwin Ress: „Nein, nicht sofort. Nach der Schule habe ich zunächst eine Tischlerlehre gemacht und erst später, nach Beendigung der Bundeswehrzeit, kam ich zu der Überzeugung, etwas ganz anderes machen zu wollen. Ich entschied mich für ein Studium und habe dann über den zweiten Bildungsweg Soziale Arbeit studiert.
kadlec: Sie sind in Kusel geboren, haben aber in den letzten 15 Jahren in Ludwigshafen und Mannheim gezielt in der Waldhof – Szene gearbeitet. Sind sie dabei Fan vom SV Waldhof geworden?
Erwin Ress: Ich habe 16 Jahre mit den Fans des SV Waldhof gearbeitet. Wenn man so lange eine Fanszene begleitet, freut man sich natürlich auch über den Sieg des Vereins. Da ich aber in Kusel geboren bin und dort 26 Jahre gelebt habe, bin ich natürlich früher häufig zum 1.FCK gefahren. Ich habe auch in Mannheim nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass ich dem FCK die Daumen drücke. Das war dort auch bekannt. Ich bin aber deswegen nicht angefeindet worden. In den letzten Jahren war ich auch mal immer wieder bei Spielen des FCK. Da ich aber in Fulda studiert habe und beruflich stark beansprucht war, konnte ich nur noch selten zu Spielen gehen. Über die Rivalität der beiden Fanlager bin ich mir selbstverständlich im Klaren. Und natürlich hat man mich anfangs auf Grund meiner Vergangenheit hin und wieder etwas angemacht. Aber das war doch eher spaßhaft. Allerdings wird das Verhältnis der beiden Fangruppen oft etwas übertrieben feindselig dargestellt. Auch in Ludwigshafen und Mannheim, wo beide Fanlager ja des Öfteren hautnah aufeinander treffen, kommt es nicht permanent zu Anfeindungen oder gar Schlägereien. Nicht selten beobachtet man verwundert, wie die Hooligans beider Vereine, als vermeintliche „Todfeinde“ auf dem Weihnachtsmarkt bei einem Glühwein zusammenstehen und nett miteinander plaudern. Häufig alles halb so schlimm. Nur wenn beide Vereine gegeneinander Spielen lässt man auf beiden Seiten die Feindschaft richtig aufblühen und pflegt das Ritual.
kadlec: Ist das Fanprojekt lediglich eine Anlaufstelle für unorganisierte Fans, wie der Oberbürgermeister Dr. Klaus Weichel bei der Vorstellung des Projektes betonte?
Erwin Ress: „Nein, das stimmt so nicht. Das Projekt wendet sich natürlich an alle Fans.“
kadlec: In Mannheim und Ludwigshafen haben sie sich ausschließlich mit der dort ansässigen Hooligan – Szene beschäftigt. Spielen die Hooligans in dem neuen Projekt hier in Kaiserslautern auch eine Rolle?
Erwin Ress: „Nein, die Hooligans stehen hier nicht im Mittelpunkt meiner Arbeit, wobei das in Einzelfällen nicht auszuschließen ist. Wenn sich jemand aus der Szene an uns wenden sollte, werden wir uns natürlich um das Anliegen kümmern. Aber die Hooligans gehören mittlerweile fast überall in der Regel zu den älteren Semestern und fallen aus diesem Grund von vornherein aus unserer Zielgruppe heraus.“
kadlec: Wie alt sind denn die Fans, um die es in ihrer Arbeit geht?
Erwin Ress: „Erfahrungsgemäß so zwischen 14 und 27 Jahren. Das ist aber keine exakte Grenze und vor allen Dingen kein Ausschlusskriterium. In Ausnahmefällen können die Personen auch schon einmal älter oder jünger sein.
kadlec: Haben sie die Fans gezielt angesprochen und wenn ja, welche Gruppen haben sie zunächst bevorzugt kontaktiert?
Erwin Ress: „Wir sind einfach an Spieltagen ins Stadion und waren vor dem Spiel im „Underground“. So haben wir den Kontakt zur Szene gesucht. Unterstützung erhielten wir natürlich über den Verein, vor allem vom Fanbeauftragten Stefan Rosskopf, aber auch einzelne Fans und Fangruppen interessierten sich recht schnell für das Fanprojekt. Wir brauchen zu unseren Ansprechpartnern eine stabile und dauerhafte Vertrauensbasis. Nur so können wir das Projekt in der Fanszene relativ schnell etablieren, für größtmögliche Akzeptanz und über die Mund zu Mund Propaganda für eine rasche Verbreitung unseres Angebotes sorgen. Wir wollen aber darauf achten, dass sich verschiedene Fangruppen in unseren Räumlichkeiten aufhalten und diese nicht nur zum Versammlungszentrum einer Gruppe wird.
kadlec: Wie ist denn das Projekt bisher angelaufen? Wie ist die Resonanz?
Erwin Ress: „Die Resonanz ist groß. Wir sind bislang sehr zufrieden. Die Fans haben sehr schnell gemerkt, dass wir nicht gegen sie arbeiten, sondern ihre Interessen und Anliegen unterstützen.
kadlec: Erklären sie uns bitte den Unterschied zwischen der Fanbetreuung, die der Verein anbietet und dem Aufgabenprofil des Fanprojektes?
Erwin Ress: „Nun, der Fanbetreuer ist ein Angestellter des Vereins. Mein Arbeitgeber ist der Träger des Projektes, also die AWO. Ich vertrete also nicht die Interessen und Belange des FCK, bin den offiziellen Gremien und der Führung des Vereines nicht verpflichtet und in meiner Arbeit auch nicht weisungsgebunden. Ich vertrete in erster Linie die Interessen und Anliegen der Fans, die können auch schon mal mit denen des Vereins kollidieren. Trotzdem strebe ich eine gute Zusammenarbeit mit den Verantwortlichen des FCK an und bisher gab es noch keine Probleme. Der Fanbetreuer dagegen verfügt über diesen Entscheidungsspielraum nicht in dem Maße wie das Fanprojekt, ist weniger unabhängig und enger an die Vereinspolitik gebunden. Das Fanprojekt bezieht hingegen die ganze Lebenswelt des Fans in die Arbeit mit ein. Pädagogisches Streetworking ist hier das Stichwort. Auf eine griffige Formel gebracht: Wir beginnen meistens dort, wo der Verein aufhört. Gemeinsam ist uns natürlich der zu betreuende Personenkreis, sehr oft der Ort, also das Stadion und als Bezugspunkt, die starke Bindung zum FCK.
kadlec: Sie haben das Stichwort Pädagogisches Streetworking genannt. Was dürfen wir uns darunter vorstellen?
Erwin Ress: „Wir suchen die Fanszene auf, versuchen dauerhaften Kontakt herzustellen und eine Vertrauensbasis zu errichten. Ist dies einmal geschehen, ist das Vertrauen da, bieten wir einzelfallorientierte Hilfe an. Wir vermitteln z.B. bei Problemen im Job, in der Schule, beraten und helfen auch in finanziellen Angelegenheiten. Geplant ist in Zukunft auch eine engere Zusammenarbeit mit der Arbeitsagentur. Wir können natürlich keine Jobs anbieten, aber wir wollen beraten, vermitteln und Kontakte beschleunigen. Zudem begleiten wir die Fans bei Heimspielen und zu Auswärtspartien, versuchen Freizeitangebote zu schaffen und helfen ihnen bei der Selbstorganisation. Auch die Öffentlichkeitsarbeit ist ein wichtiges Thema. Wir bemühen uns, den Anliegen und Problemen vieler Fans in den Medien und in der Öffentlichkeit Gehör zu verschaffen.“
kadlec: Arbeiten sie in Kaiserslautern noch mit anderen Institutionen und Organisationen zusammen?
Erwin Ress: „Neben der Kooperation mit dem Verein und der Arbeitsagentur, planen wir noch eine engere Zusammenarbeit mit der Stadt, d.h. wir wollen Kontakte knüpfen zu Streetworkern oder Sozialarbeitern aus anderen Bereichen.“
kadlec: Um eine Frage komme ich natürlich nicht herum. Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit der Polizei?
Erwin Ress: „Grundsätzlich bemühen ich mich um ein entspanntes, aber gleichzeitig auch distanziertes Verhältnis. Ich suche den Kontakt zur Polizei im Interesse von Fans nur dann, wenn ich von diesen dazu aufgefordert werde, um z.B. einen Fan, der mit der Polizei in Konflikt geraten ist und von einer Anzeige bedroht ist, zu unterstützen, wenn die betreffende Person das wünscht. Das heißt aber natürlich nicht, dass wir in der Lage sind alles wieder im Interesse des oder der Fans zu regeln aber wir werden uns trotzdem für sie einsetzen. Es werden aber keinen Szenekenntnisse oder gar Namen an die Polizei weitergegeben. Unsere Arbeit braucht Vertrauen, denn das ist die Basis unserer Arbeit. Außerdem unterliegt ein staatlich anerkannter Sozialarbeiter der Verschwiegenheitspflicht.
kadlec: Wie sehen denn die Präventivmaßnahmen aus, um Polizeieinsätze zu verhindern, die vom Innenminister bei der Vorstellung des Projektes angesprochen wurden?
Erwin Ress: Wir können selbstverständlich keine Polizeieinsätze verhindern. Wir können aber im Vorfeld vermittelnd und schlichtend eingreifen um zu vermeiden, dass eine Situation eskaliert und es zu einem massiven Polizeieinsatz kommt, denn dann sind die Fans immer die Dummen. In erster Linie handelt es sich hierbei aber um ein langfristiges Ziel. Erst muss eine stabile Vertrauensbasis geschaffen werden, die es erlaubt, einzelne Personen auch in extremen Situationen noch ansprechen zu können um sie vor unüberlegtem Tun und Handeln abzuhalten. Die meisten Dinge beim Fußball entstehen ja aus Wut und Frust und den unüberlegten Handlungen danach. Dadurch können Straftaten verhindert und die Personen natürlich vor Anzeigen und Verurteilungen bewahrt werden.
kadlec: Wo ist ihr Platz im Stadion?
Erwin Ress: „Im Moment im Innenraum bei Heim – und direkt im Block bei Auswärtsspielen. Bei Heimspielen im Innenraum, damit ich möglichst schnell auch in den Gästebereich kommen kann, um mit meinen Kollegen aus den anderen Fanprojekten in Kontakt zu kommen, falls es da Probleme gibt. Bei Auswärtsspielen bin ich immer direkt unter den Fans, um möglichst schnell bei Problemen mit Ordnern oder der Polizei eingreifen zu können, wenn man mich lässt.
kadlec: In Wehen (Anm. der Redaktion: Saison 2007/2008 ) durften sie nicht eingreifen, hat man sie nicht in den Block gelassen. Wie beurteilen sie die Geschehnisse dort?
Erwin Ress: In Wehen war schon eine massive Polizeipräsens am Bahnhof. Die FCK-Fans wurden schon von zum Teil behelmten Polizeibeamten mit Hunden erwartet. So „begrüßt“ man keine Gästefans. Das schürt Aggressionen und man behandelt alle Fans pauschal als potentielle Gewalttäter. Das ist nicht zu rechtfertigen. Der Ordnungsdienst hat ebenfall überreagiert. Zuerst durfte eine Fangruppe ihre Fahne nicht mit ins Stadion nehmen und dann hat man zum Teil unverhältnismäßig reagiert, weil Fans wegen der Enge im Stadion zum Teil auf den „Fluchtwegen“ standen. Dadurch ist die Situation im Stadion dann auch kurzzeitig eskaliert. Die Ordner haben mich trotz meines DFL-Ausweises nicht in den Block gelassen. Es wäre jetzt vermessen zu behaupten ich hätte dort noch schlichten, oder was verhindern können, aber man hätte es wenigstens versuchen können. So wurde wieder auf eine ganze Gruppe von Fans eingeknüppelt bzw. mit Pfefferspray eingedeckt. Anschließend hat man auch Frauen verweigert die Augen auszuspülen. Hilfe bekamen nur die von ihren eigenen Kollegen besprühten Polizeibeamten.
kadlec: Welche Probleme sehen sie auf Grund der Veränderungen in der Fankultur zukünftig auf sie zukommen? Unter den Veränderungen verstehe ich die zu beobachtende Zunahme der Ultras in den Stadien, welche die Kurven mittlerweile dominieren und die Kuttenträger nach und nach an den Rand drängen.
Erwin Ress: „Ich beobachte vor allem, dass die Hooligan–Szene zahlenmäßig abnimmt und die Ultra–Szene wächst. Die Hooligans treffen sich für ihre Auseinandersetzungen mittlerweile abseits vom Fußball. Mit der Folge, dass sich der Polizeiapparat nun vermehrt den Ultras zuwendet und in dem Zuge, diese dann oft vorschnell und häufig zu Unrecht kriminalisiert werden. Manchmal führt erst das massive Polizeiaufgebot zur Eskalation einer bis dahin eher harmlos erscheinenden Situation. Man kann das Problem durchaus so formulieren: Indem die Vereine und der Staat die beiden Szenen – mal grob gesprochen – zum Teil in einer unreflektierten Weise gleichsetzen und gleich behandeln, werden Probleme erst erzeugt, die man bei einer differenzierteren und behutsameren Vorgehensweise hätte vermeiden können. Heute finden die meisten Auseinandersetzungen nicht mehr zwischen den verschiedenen Fangruppen, sondern häufiger zwischen Fans und den Ordnungskräften und/oder Polizei statt. Ein weiteres Problem besteht darin, dass mit fortschreitender Kommerzialisierung des Fußballs, die Inszenierungs- und Choreographiebedürfnisse der Ultras immer häufiger mit ordnungspolitischen und sicherheitstechnischen Bestimmungen und Regelungen in der Stadionordnung in Konflikt geraten. Mit der Konsequenz einer zu beobachtenden Häufung der Stadionverbote. Ein wichtiges Ziel, auf das die KOS großen Wert legt, beinhaltet die stärkere Rückbindung der Fans an die Vereine.
kadlec: Wie stehen sie dazu?
Erwin Ress: „Grundsätzlich sehe ich das positiv, aber es darf nicht um jeden Preis geschehen. Eine kritische Distanz auch zum Verein scheint mir wichtiger zu sein, als dem Klub in allen Fragen nur blind hinterher zu rennen.“
kadlec: Herr Ress, ich bedanke mich für das Gespräch und wünsche ihnen und dem Projekt viel Erfolg.