Von der betze brennt:
Für die Interessierten habe ich zwei aktuelle Urteile, LG Hannover und OLG Köln. Sie betreffen Regress-Klagen von Fußballvereinen, die vom DFB-Sportgericht mit Strafen belegt wurde. Die Vereine wollten sich bei den betreffenden Anhängern, die Pyrotechnik gezündet hatten, schadlos halten. Die Klagen blieben ohne Erfolg.
LG Hannover, Urteil vom 26.05.2015 - Aktenzeichen 2 O 289/14:
Das Urteil vom LG Hannover betrifft die Konstellation, dass der vom DFB-Sportgericht „verurteilte“ Verein beim Auswärtsspiel in Wolfsburg antrat. Die Anhänger des Gastvereins zündeten Pyrotechnik, der Gastverein wurde mit einer Strafe belegt, die er jetzt vom identifizierten Anhänger erstattet haben möchte.
Das LG Hannover nahm inzident Stellung zur Frage, ob der DFB aufgrund der entsprechenden Regelung in seiner Rechts- und Verfahrensordnung Vereine mit einer Vertragsstrafe belegen kann, wenn die „Anhänger“ des Vereins Pyrotechnik zünden. Das LG stellt dazu fest („Klägerin“ = der bestrafte Verein):
„Die Kammer geht nach diesen Maßstäben davon aus, dass die gegen die Klägerin verhängte Sanktion einer gerichtlichen Überprüfung in einem Rechtsstreit gegen den DFB nicht standgehalten hätte.“
Nicht ohne Belustigung stellt das Landgericht fest:
„Der Begriff des Anhängers ist nicht hinreichend greifbar und kann deshalb für eine strafende Maßnahme nicht herangezogen werden. Nicht anders als staatliche Sanktionsnormen müssen solche von Verbänden den Grundsatz „nulla poena sine lege certa“ beachten, wonach Rechtsvorschriften, welche strafen, hinreichend bestimmt sein müssen. Diesem elementaren rechtstaatlichen Gebot genügt die Anknüpfung an den Begriff des „Anhängers“ nicht; er lässt offen, ob die Anhängerschaft zu einem Fußballverein sich als inneren Umstand begreift, ob er formal an die Zuordnung zu Sitzreihen anknüpft, ob er erst durch weithin wahrnehmbare äußere „Publizitätsakte“ wie das regelmäßige oder gelegentliche Tragen eines „Fanschals“ und oder das Skandieren von Anfeuerungsrufen ausgefüllt wird oder aber auch schon nach außen nicht wahrnehmbare Gesinnungsbekenntnisse wie die häusliche Verwendung von Merchandising-Artikeln wie Bettwäsche und Bechern oder gar eine nur aufrichtige Anteilnahme am sportlichen Schicksal des Vereins. Angesichts der fehlenden begrifflichen Schärfe des von der Verfahrensordnung geschaffenen Tatbestandsmerkmals „Anhänger“ verblüfft es, dass weder die Anklageschrift noch das Urteil des Sportgerichts Anstrengungen unternehmen, diesen zu definieren und den Beklagten darunter zu subsumieren. Es ist schlechterdings nicht erkennbar, worauf das Sportgericht - wie auch der Kontrollausschuss - die Annahme gründeten, dass die Knallkörper von Anhängern der Klägerin gezündet worden sind. Möglicherweise - das bleibt offen - lassen sie dafür allein den Aufenthalt eines Zuschauers in einem Gästeblock zureichen. Dass es im Übrigen wohl auch mit der tatbestandlichen Schärfe der „Zwischenfälle jeglicher Art“ in § 9 a Zif. 2 RuVO nicht zum Besten steht, sei lediglich ergänzend angeführt.“
Drastische Worte findet das Landgericht hier:
„Die - nochmals: allein aus der Anklageschrift abzulesende - Strafzumessung des Sportgerichts ist grob unbillig, da sie sich nicht nach dem Grad eines Verschuldens auf Klägerseite [Anmerkung von mir: Klägerseite = bestrafter Verein] ausrichtet, sondern allein die mittelbaren generalpräventiven Ertrag der verhängten Strafe und deren weiterer Auswirkungen bzw. - was die ostentative Erörterung der Generalprävention nahe legt - den äußeren Eindruck eines tatkräftigen Einschreitens gegen Missstände in Fußballstadien gerichtet ist.
Die Anklageschrift äußert recht unverhohlen, dass die verhängte Strafe im Wege der „Inregressnahme“ an die „eigentlichen Täter“ weitergegeben werden soll, um eine abschreckende (generalpräventive) Wirkung zu erzielen. Hätten die Klägerin und „ihr Richter“, das DFB-Sportgericht, mit diesem Unterfangen Erfolg, so hätte dies zur Folge, dass nichtstaatliche Organisationen, welche das Sanktionssystem der Strafjustiz offenbar als „zu milde“ empfinden, um ernstliche Prävention zu bewirken, durch interne Absprachen ohne jedwede Beteiligung betroffener Dritter „Geldstrafen“ gegen diese verhängen können, welche die Zumessungsgesichtspunkte staatlicher Strafrechtsprechung gezielt unterlaufen.
Dabei erachtet es die Kammer als besonders problematisch, dass sich die Höhe der „durchgereichten“ Strafzahlungsforderung nicht wie in der Strafrechtspflege nach den persönlichen Verhältnissen des Täters richtet, sondern die Leistungsfähigkeit des Vereins und dessen Vorverhalten entscheidend sind.
(…)
Die aufgezeigten Bedenken verdichten sich noch dadurch, dass die Klägerin sich keinem Strafsystem und keiner Gerichtsbarkeit unterwarf, welche allein das schuldhafte Unterlassen möglicher Sicherheitsanstrengungen „unter Strafe stellen“, sondern eine Bestrafung zumindest auch ohne jedweden Bezug zu einem persönlichen Verschulden des Bestraften bzw. seiner Organe, allein auf dessen Einstehen-Müssen für seine „Anhänger“ gründet.“
Nicht minder drastisch:
„Ob sich der DFB und seine Mitgliedsvereine hingegen mit einer - gewiss verfassungswidrigen - gesetzlichen Regelung einverstanden erklärten, welche für Vorfälle der hier in Rede stehenden Art eine § 9 a RuVO nachgebildete verschuldensunabhängige Bestrafung eines Vereins vorsähe, wird man mit einigem Fug bezweifeln dürfen.“
Und:
„Die aufgezeigten Verstöße des Sportgerichts gegen elementare rechtsstaatliche Grundsätze mussten sich auch der Klägerin aufdrängen.“
Resümierend:
„Die Kammer geht danach insgesamt davon aus, dass eine zivilgerichtliche Überprüfung des Urteils [Anm. von mir: des DFB-Sportgerichts] vom 2. April 2014 dazu geführt hätte, dass die darin ausgesprochene Bestrafung der Beklagten für unwirksam erklärt worden wäre.“
Das OLG Köln (ich mach´s hier kurz, Urteil vom 17.12.2015 - Aktenzeichen 7 U 54/15) verneint einen Zurechnungszusammenhang zwischen dem Verhalten des betreffenden Zuschauers und der Vertragsstrafe durch den DFB:
„Im Ausgangspunkt bezweifelt der Senat nicht, dass das Zünden des Knallkörpers durch den Beklagten adäquat kausal (im Sinne einer Mitverursachung) die Verhängung der Verbandsstrafe durch den DFB nach sich gezogen hat. Es fehlt jedoch an dem erforderlichen Zurechnungszusammenhang.“
Das bedeutet natürlich umgekehrt für den Zurechnungszusammenhang zwischen Verhalten des Zuschauers und Haftung des Vereins im Rahmen der Vertragsstrafe, dass hier auch kein Zurechnungszusammenhang besteht.
Warum die Vereine sich der Rechts- und Verfahrensordnung des DFB unterwerfen? Sie haben faktisch keine andere Wahl. Warum sie nicht gegen die Auferlegung von verschuldensunabhängigen und nicht zurechenbaren Vertragsstrafen vor staatliche Gerichte ziehen? Wer will es sich mit dem DFB verscherzen …?
Ob einem bei den Richtern der entscheidenden Spruchkörper des LG Hannover und des OLG Köln auch die Kategorie „furchtbarer Jurist“ einfällt oder ob es sich eher um Leute handelt, die sich gegen willkürliche Versuche der Generalprävention im Privatrecht wenden, mag jeder für sich beurteilen.