Urteil zu Wegnahme eines Schals

  • Wer mal lesen möchte, wie sich die Wertung von Fußballpöbeleien im Juristendeutsch anhört:


    1. Die für Raub und Diebstahl notwendige Zueignungsabsicht liegt nicht vor, wenn der Täter dem Berechtigten die Sache nur entzieht, um diesen zu ärgern.
    2. Keine Notwehr eines Fans gegen eine Beleidigung «seines» Vereins, die von einem sogenannten «Anti-Schal» ausgeht.
    LG Potsdam, Urteil vom 23.03.2009 - 27 Ns 114/07


    Sachverhalt
    Der Angeklagte ist Anhänger des Fußballclubs TB B. und besucht regelmäßig Spiele dieses Vereins. Im März fand in F. ein Fußballspiel zwischen der dortigen Heimmannschaft und Mannschaft TB B. statt, das der Angeklagte mit weiteren Fans des Fußballclubs TB B. besuchte. Vor dem Spiel hatte der Angeklagte Bier und möglicherweise Pfefferminzlikör getrunken. Nach dem Ende des Spiels ging er in einer etwa 20 bis 30 Personen umfassenden Gruppe von TB-Fans in Richtung Bahnhof. Dabei kam D, Fan der F. Mannschaft, an dieser Gruppe vorbei. Um seinen Hals hatte er locker einen sogenannten Anti-Schal mit der Aufschrift «Scheiß TB - Freunde kann man kaufen, Feinde nicht» gelegt. Die Aufschrift und die auf dem Schal ersichtliche Faust mit ausgestrecktem Mittelfinger stellt eine Kritik an der 1998 einsetzenden Kommerzialisierung des Fußballsports dar. Ein anderer TB B-Fan (S) löste sich aus der Gruppe und lief dem D hinterher und versuchte diesen mit der lautstarken Frage, was dieser Schal solle, zu provozieren, was aber nicht gelang. Daraufhin ging der Angeklagte zu D, um diesem den Schal abzunehmen. Als er ihn eingeholt hatte, legte er vermeintlich freundschaftlich seinen Arm um die Schulter des D und sagte sinngemäß in ruhigem Ton: «Wir wollen doch alle keinen Ärger haben; wenn du keine auf die Fresse haben möchtest, dann gib den Schal gefälligst heraus.» D folgte dieser Aufforderung nicht. Der Angeklagte nahm daraufhin den Anti-Schal von der Schulter des D, der dies - wie vom Angeklagten erwartet - aus Angst vor Ärger geschehen ließ. Im Anschluss ließ der Angeklagte von D ab und ging zurück zu seiner Gruppe, wo er den Schal dem S übergab. Dieser band sich den Schal zunächst um. Der weitere Verbleib des Schals ist ungeklärt; vermutlich hat S den Schal - noch auf dem Weg zum Bahnhof - ins Gebüsch geworfen. Das AG hat den Angeklagten mit dem angefochtenen Urteil wegen Raubes zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt.


    Rechtliche Wertung
    Die Berufung führt zu einer Abänderung des Schuldspruches und zu einer erheblichen Herabsetzung der Strafe. Der Angeklagte hat D genötigt, die Wegnahme des Schals zu dulden. Indem der Angeklagte D eingeschüchtert und ihm insbesondere Schläge «auf die Fresse» angedroht hat, falls er den Schal nicht herausgebe, hat er diesem ein Übel angedroht. Nachdem D den Schal nicht freiwillig herausgegeben hat, hat der Angeklagte unter Ausnutzung der zuvor ausgesprochenen Drohung und der hierdurch bewirkten Einschüchterung den Schal selber an sich genommen. Dem D hat er hierbei die Duldung dieser Wegnahme abgenötigt. Der Angeklagte hat sich hierdurch der Nötigung gemäß § 240 I StGB schuldig gemacht. Die Nötigung war rechtswidrig im Sinne von § 240 II StGB, da bereits der Nötigungszweck – die Wegnahme des Anti-Schals - verwerflich war.


    Die Tat war nicht gemäß § 32 StGB durch Notwehr gerechtfertigt. Zwar waren dem von D getragenen Anti-TB-Schal abwertende Äußerungen gegenüber dem Verein und der Mannschaft von TB B. zu entnehmen. Derartige Äußerungen sind allerdings sozialadäquat. Es ist gerichtsbekannt, dass in den Auseinandersetzungen zwischen Fußballfans rivalisierender Mannschaften durchaus ein rauer Ton gepflegt wird. Dies ist auch dem Angeklagten bekannt, der sich gerne dadurch hervortut, gegnerische Fußballfans zu provozieren. Im Übrigen ist der Angeklagte weder Mitglied der Mannschaft, noch - soweit dies ersichtlich ist - Vereinsmitglied von TB B., so dass sich die von dem Schal ausgehende Abwertung - auch nicht unter einer Gruppenbezeichnung - gegen ihn selbst richtete, sondern auf andere Personen gemünzt war. Für eine Abwehr etwaiger Beleidigungen wäre es im Übrigen ausreichend gewesen, den Geschädigten D aufzufordern, seinen Schal zu verdecken oder einzustecken. Aus der Androhung von Schlägen und aus dem Umstand, dass der Angeklagte die Beseitigung oder die Vernichtung des Schals wünschte, ergibt sich vielmehr, dass es diesen um Rache ging.


    Dem Angeklagten fällt hingegen kein Diebstahl oder Raub zur Last, da es nach den in der Berufungsverhandlung getroffenen Feststellungen bei der Wegnahme des Anti-Schals an einer Zueignungsabsicht des Angeklagten fehlte. Diese erfordert, dass der Täter die gestohlene oder geraubte Sache dem eigenen Vermögen oder dem Vermögen eines Dritten einverleiben will. Diese Voraussetzung liegt dann nicht vor, wenn der Täter die Sache dem Berechtigten nur entzieht oder diesem lediglich wegnimmt, um den Berechtigten zu ärgern. Der auf Hass oder Rachegefühlen beruhende Schädigungswille gegen ein Opfer begründet beim Täter noch keine Zueignungsabsicht. Die Zueignungsabsicht fehlt, wenn der Täter die Sache nur wegwerfen, zerstören oder sonst beseitigen will. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Angeklagte den Anti-TB-Schal für sich behalten wollte oder dass er erwartete, S werde dies tun; vielmehr lässt sich dem Angeklagten nicht widerlegen, dass er von einer «Entsorgung» des Schals ausging.

  • Das stammt ja auch auch seinem Berufsmetier und dazu noch SchiedsRICHTER ;)

    FUSSBALL IN LAUTERN, SO SPIELT MAN FUSSBALL IN LAUTERN!!!
    FUSSBALL IST EIN MÄNNERSPORT!!! FUSSBALL IST EIN MÄNNERSPORT!!!


    OLD SCHOOL BLOCK 6.1

  • Nunja Fips, also so derbe habe ich die "Amtssprache" ja nun nicht drauf. Aber du hast durchaus recht, dass ich mich möglichst sachlich und gewählt ausdrücken möchte :P


    Das Urteil ist nicht uninteressant. Also das alleinige Wegnehmen/Entwenden eines Schals stellt noch keinen Diebstahl dar, es muss die Absicht dahinterstecken, den Schal als Wertgegenstand zu behalten oder an Dritte weiterzugeben/-verkaufen :gruebel: So ganz kann ich dem Urteil nicht folgen, auch wenns in der rechtlichen Würdigung schlüssig ist. Aber meinem Empfinden nach ist es Diebstahl, wenn mir etwas entwendet wird.

  • Aber meinem Empfinden nach ist es Diebstahl, wenn mir etwas entwendet wird


    Der Kasus knacktus dabei ist für die Gerichte, daß neben dem Wegnehmen eben auch das "Behalten-wollen" tritt. So sinngemäss: Wer unberechtigt,fremdes,bewegliches Eigentum an sich nimmt, um ein eigenes Eigentum zu begründen, begeht Diebstahl". Also Wegnehmen, jemanden damit necken und dann wieder hergeben, also nicht behalten wollen (!) ist kein Diebstahl. Also zurückgeben ist ok. Ins Gebüsch werfen ist auch OK!? :wiejetzt:


    Ist das dann Unterschlagung oder unberechtigte Entsorgung????

    "Ich bin mit großer Euphorie an die Aufgabe herangegangen. Aber wenn ich alle Details gewusst hätte, weiß ich gar nicht, ob ich es wirklich gemacht hätte."

  • @ Australier:
    Und vor allem, was heißt beweglich? Ok, so´n Schal ist nicht steif, aber von selbst bewegt er sich nicht. Oder heißt beweglich "tragbar", im Sinne von wegtragbar? :gruebel: :dunno:


    Edit sagt:
    ähm, was nicht wegtragbar ist, kann man ja auch nich entwenden, fällt mir da grad ein/auf... :whistling:

    Alles nur subjektive Wahrnehmungsdefizite! :kritisch:

    Einmal editiert, zuletzt von Gazza ()

  • Die VOraussetzungen für einen Diebstahl sind zunächst: eine fremde bewegliche Sache wegnehmen.
    Beweglich sind Sachen, wenn man sie von Grund auf eben fortbewegen kann. Ist gar nicht so schwer. ;)
    Die Probleme liegen meist bei der Wegnahme.
    Im vorliegenden Fall ist das aber nicht das Problem.


    Der Vorsatz bezieht sich dann auf die Wegnahme der fremden beweglichen Sache und dann muss noch eine Zueignungsabsicht vorliegen.
    Zueignungsabsicht bedeutet, dass man zumindest eine vorübergehende Aneignung der Sache hat und eine dauerhafte ENteignung des ursprünglichen Eigentümers, welche mit einbezieht, dass die Sache in das Vermögen eines anderen (dem Täter selbst oder einem Dritten) einverleibt wird. Daran scheitert es an diesem Fall, da der Täter den Schal in kein anderes Vermögen einverleiben will, sondern den Schal wegschmeißt.


    Er macht sich hier wegen Unterschlagung strafbar, da die aber subsidiär hinter der Nötigung zurücktritt, wird sie nicht erwähnt.


    Ist doch ganz einfach. :D


    Tschuldigung.^^

  • Wenn du sie abschraubst, ja.

    Zitat

    Armer Mann trifft reichen Mann und sehn sich an. Da sprach der Arme zum Reichen: "Wär ich nicht arm, wärst Du nicht reich!"


    Bertolt Brecht