Diskussionsthema zum Artikel: Marco Antwerpen: Der richtige Trainer am richtigen Ort
Marco Antwerpen: Der richtige Trainer am richtigen Ort
Taktik, Motivation, Einsatzbereitschaft, Erfolg: Der 1. FC Kaiserslautern scheint nach vielen Fehlversuchen endlich den richtigen Trainer gefunden zu haben.
Am 01. Februar 2021 übernahm Marco Antwerpen das Amt des Cheftrainers auf dem Betzenberg und löste damit den erfolgslosen Jeff Saibene ab. Nicht nur die Frisur betreffend, auch vom Temperament her unterscheidet sich der aus dem Ruhrgebiet stammende Trainer grundlegend von seinem Luxemburger Vorgänger.
Bis in die Haarspitzen motiviert
Als „leiseste Mannschaft, die ich je trainiert habe“ bezeichnete Saibene einst leicht resignierend den Kader der Roten Teufel. Faktisch lag er damit durchaus richtig, dem FCK fehlten lange Zeit die richtigen Führungsspieler. Gleichwohl war es der Luxemburger selbst, der als ruhig und zurückhaltend galt und alles andere als mit einem explosiven Gemüt ausgestattet war. Fairerweise muss an dieser Stelle erwähnt werden, dass Saibene auf die beiden aktuellen Schlüsselspieler nicht zurückgreifen konnte: Jean Zimmer kam mit Fitnessrückstand zum FCK zurück und Felix Götze fiel anfangs verletzungsbedingt aus. Trotzdem ist ein Motivator vom Schlage Antwerpen wohl das Einzige, was den Verein derzeit noch retten kann. Der Weg bisher stimmt jedenfalls.
Unmittelbar nach dem 0:1 Debakel in Magdeburg gab Marco Antwerpen bekannt, die Trainingsbelastung in den beiden kommenden Wochen rund um die Länderspielpause erheblich anzuziehen, um „eine höhere Laufbereitschaft und den unbedingten Willen der Spieler zu erzwingen“. Mitunter fanden bis zu drei Trainingseinheiten pro Tag statt – und das mitten in der Saison! Noch Wochen später sprechen Spieler von „brutal hartem Training“ bzw. „der Hölle auf Erden“. Und es scheint sich zu auszuzahlen: In den vergangenen sechs Partien lieferte der FCK nur noch ordentliche bis starke Leistungen ab, holte 12 Punkte und blieb ungeschlagen.
Wer spielt wo? Völlig egal!
Müsste man zwei Eigenschaften nennen, die Marco Antwerpen in seiner Zeit in Kaiserslautern charakterisieren, dann sind es Motivation und Flexibilität. Seit der 49-jährige im Amt ist, hat sich der Kampfgeist der Mannschaft deutlich zum Positiven entwickelt. Spätestens seit dem Heimspiel gegen Halle stimmen Disziplin, Kampf und Laufbereitschaft.
Noch deutlicher als die neu gewonnene Motivation sticht Antwerpens taktische Flexibilität hervor. Gemeint ist die Fähigkeit des Trainers erfolgreich Systeme umzustellen. So schaltet das Team in der Abwehr mittlerweile auch während eines Spiels mühelos von Dreier- auf Viererkette um - etwa wenn Felix Götze aus der Innenverteidigung ins Mittelfeld vorrückt. Im defensiven Mittelfeld agieren gleich mehrere Spieler mal als Abräumer, mal kreativ, mal als Doppelsechs, mal als alleiniger Sechser. All das funkioniert.
Hinzu kommt, dass beinahe in jedem Spiel zwei bis drei Spieler gesperrt, verletzt oder erkrankt ausfallen. Antwerpen jammert nicht, sondern improvisiert erfolgreich: Unter anderem stellt der Cheftrainer Spieler auf Positionen auf, auf denen sie niemand erwartet. Und diejenigen, die es an einem Spieltag nicht einmal in den Kader schaffen, können bereits im nächsten Spiel zum Matchwinner werden. Es ist mittlerweile nahezu unmöglich geworden, eine Lauterer Aufstellung genau vorherzusagen. Neben der richtigen Einstellung hat Antwerpen seiner Mannschaft auch Flexibilität eingeimpft. Und mit beiden Zutaten bringen die Roten Teufel im letzten Saisondrittel endlich ihre persönlichen Topleistungen auf den Platz.
Was nicht passt, wird passend gemacht
Hendrick Zuck verfügt nicht zwingend über die nötige Schnelligkeit, auch seine Defensivqualitäten sind eher rudimentär ausgestattet. Was läge also ferner als ausgerechnet ihm die Position des Linksverteidigers anzuvertrauen? Der Lauterer Chefcoach hat hier eine völlig andere Betrachtungsweise. Antwerpen baut auf der linken Abwehrseite auf Zucks Ballsicherheit im Spielaufbau sowie seine Flanken und Standards mit dem linken Fuß. Dass der Püttlinger bei gegnerischen Kontern ein ums andere Mal überlaufen wird, bleibt letztlich weniger folgenreich als seine gelungenen Offensivaktionen, zu dem auch der wichtige Führungstreffer in Mannheim gehört.
Ein zweites Beispiel: „Wir können auch Dreierkette spielen – allerdings brauche ich dafür drei fitte Innenverteidiger“, sagte Antwerpen vor dem Derby gegen Saarbrücken. Am Tag der Pressekonferenz stand mit Marvin Senger genau ein Innenverteidiger zur Verfügung. Also ging der Coach ins Risiko und stellte das bislang überragende Sechserduo Tim Rieder und Felix Götze kurzerhand in die Abwehrreihe. Stattdessen rückten ausgerechnet die beiden fußballerischen Feingeister Anas Ouahim und Nicolas Sessa ins defensive Mittelfeld. Im Abstiegskampf zwei Spielmacher auf der Sechserposition aufzustellen, da könnte man normalerweise auch gleich ohne Torhüter auflaufen. Aber: Der Coup gelang. Beim verdienten 2:1 Derbysieg bekamen die Saarländer aus dem Spiel heraus kaum Torchancen. Mit ernormer Ballsicherheit brachten Sessa und Ouahim wahlweise Ruhe oder Geschwindigkeit ins Lauterer Spiel. Zudem liefen sie defensiv vor der Dreierkette sämtliche Löcher zu. Ausgerechnet Ouahim! In Magdeburg wurde er nach seiner Einwechslung wieder ausgewechselt. Anschließend erfolgte seine Wandlung vom brotlosen Schönspieler zum immer anspielbaren Ballschlepper und -verteiler im Mittelfeld.
Antwerpens straffe Führung zeigte sich aber auch im Umgang mit Marvin Pourié. Nach einem Leistungstief und teaminternen Querelen bekam Pourié einen „Fitnessurlaub“ am vereinseigenen Trainingsgelände inklusive zweier spielfreier Wochenenden spendiert. Und siehe da: Seit der Denk-und Laufpause präsentiert sich der ausgeliehene Angreifer fitter und teamfähiger denn je.
Marco Prolo oder Ruhrpott-Mourinho?
Durch die Stille der Geisterspiele und zielsicher ausgerichtete Magentasport-Mikrofone bleibt dem TV-Zuschauer mittlerweile kaum verborgen, was sich verbal rund um die Trainerbänke ereignet. Und der Lauterer Coach liefert den Sendern hier verlässlich Entertainment: Permanent dirigiert und korrigiert er - auch mal wie ein Wahnsinniger brüllend - seine Spieler auf dem Feld, liefert sich regelmäßig Wortgefechte mit der gegnerischen Trainerbank und sammelt gelbe Karten wie einst Walter Frosch. In Rostock „reicht es“ sogar zu einem Platzverweis mit anschließender Innenraumsperre beim nächsten Spiel.
Statt öffentlich das wiederholt naive Abwehrverhalten seines Teams in der Schlussphase anzuprangern, stellt sich der Trainer im Anschluss einer Partie lieber vor seine Mannschaft und arbeitet sich an den Schiedsrichtern ab. Gelegenheiten dafür gab es dank dreier Platzverweise in Folge und mehrerer elfmeterreifer Situationen reichlich. Und Antwerpen nutzt diese Vorlagen für wöchentliche Schimpftiraden in Richtung der Unparteiischen im Allgemeinen sowie im Speziellen. Gerade in den Pressekonferenzen nach dem Spiel, zu einem Zeitpunkt also, in dem sich die Gemüter eigentlich schon wieder beruhigt haben sollten, gibt er verbal noch einmal Vollgas. Freunde macht er sich damit keine und überspannt den Bogen auch oft deutlich. Völlig unkalkuliert ist seine harsche Kritik aber sicherlich nicht, schließlich zieht er damit die komplette mediale Aufmerksamkeit auf sich und nimmt gleichzeitig Druck von der Mannschaft. Eine Disziplin, die Jose Mourinho jahrelang geradezu perfektionierte.
Wer den Lauterer Coach hingegen in den Interviews und Pressekonferenzen vor den Spielen erlebt, sieht einen bodenständige Menschen, der sachlich, geduldig und authentisch die Fragen der Journalisten beantwortet. Niemals abgehoben, niemals unfreundlich. Der Marco Antwerpen nach einem verlorenen Spiel (bzw. Unentschieden in der Nachspielzeit) ist hingegen das komplette Gegenteil. Die Feldreporter beim Interview unmittelbar nach dem Abpfiff werden über den Mindestabstand zu einem vor Wut schäumenden Antwerpen definitiv dankbar sein.
Im letzten Spiel gegen Unterhaching passierte dann gleich in mehrfacher Hinsicht Ungewöhnliches: Der Coach ist während der gesamten 90 Minuten kaum zu hören - dafür brüllt Assistent Frank Döpper im Stil seines Cheftrainers ausdauernd die Anweisungen auf das Feld. Und als wolle er das ausnahmsweise tadellose Verhalten des Lauterer Übungsleiters honorieren, zeigt Schiedsrichter Sören Storks nach einem nicht zwingend erkennbaren Foul an Elias Huth auf den Elfmeterpunkt. Und das zu einem Zeitpunkt, in dem wirklich sehr wenig auf einen Lauterer Treffer hindeutete. Ob das nun das Ergebnis von „Marco Prolos“ Schiedsrichterschelte oder einfach nur Zufall war, bleibt Spekulation. Fakt ist: Antwerpen hat die Mannschaft in jeder Hinsicht wieder aufgebaut und gibt ihr die nötige Rückendeckung. Im Gegenzug zahlt sie es mit Leistung zurück. Und sie spielt Fußball. Guten Fußball.
Rheinland-Pfalz: Hochrisikogebiet für Herzattacken
Während bei den meisten Drittligisten vor dem Spiel wahrscheinlich in Großbuchtstaben „hoch und weit von hinten rauspölen!“ auf der Taktiktafel steht, versuchen ausgerechnet die abstiegsbedrohten Roten Teufel fast in jeder Spielsituation sauber aus der Abwehr herauszukombinieren. Dabei sind sie erstaunlich ballsicher. Aus dem Spiel heraus lässt die FCK-Defensive mittlerweile kaum etwas zu, verursacht allerdings weiterhin deutlich zu viele unnötige Freistöße in der eigenen Hälfte. Und gerade hier stimmt die defensive Zuordnung oftmals nicht.
Die Roten Teufel schaffen es nach wie vor nicht, mit zwei Toren in Führung zu gehen, was Rheinland-Pfalz Samstag für Samstag zum Hochrisikogebiet für Herzattacken werden lässt. Wirklich jedes Mal muss bis zur Nachspielzeit gezittert werden - teilweise vergeblich. Gleichzeitig lassen die Last-Minute-Gegentore einen zuletzt deutlich weniger hoffnungslos zurück als noch vor wenigen Wochen. Als Zuschauer kann man sich mittlerweile darauf verlassen, dass das Team im nächsten Spiel wieder Vollgas gibt. Auch wenn die Roten Teufel nach wie vor keine zwei Saisonsiege in Folge schaffen, sind sie seit sechs Spielen ungeschlagen. Gelingt es dem FCK den 2-Punkte-Schnitt der letzten Wochen zu halten, wird der Klassenerhalt definitiv gesichert werden können.
Marco Antwerpen haftet der Ruf an, ein schwieriger Typ zu sein. Dieses Statement würde in Kaiserslautern gegenwärtig wohl niemand unterschreiben, obgleich sich der Unmut gegnerischer Teams oder DFB-Angestellter über ihn durchaus nachvollziehen lässt. In der aktuellen Situation ist er die Topbesetzung auf em Trainerposten. Antwerpen hat seiner Mannschaft das Kämpfen, das Spielen und die taktische Flexibilität beigebracht. Endlich ein richtiger Trainer am richtigen Ort zum richtigen Zeitpunkt.
Quelle: Treffpunkt Betze