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Dynamo: Pressingmaschinen mit Problemen im Abschluss
Als Zweitligist geht Dresden formal als Favorit in die Relegationsspiele. Doch können sie dieser Rolle gerecht werden? Ein Blick auf die Qualitäten und Problemzonen der Sachsen.
„Ich bin extrem enttäuscht, es fühlt sich wie ein Rückschritt an“, waren die ersten Worte des Dresdner Trainers Guerino Capretti nach der Heimniederlage im Sachsen-Derby gegen den bereits abgestiegenen FC Erzgebirge Aue. Damit schlug der SGD-Coach ganz andere Töne als zuletzt nach den Unentschieden gegen Karlsruhe, Regensburg und Düsseldorf an. Aus diesen Punkteteilungen konnte der Deutsch-Italiener noch primär positive Aspekte ableiten, während ein Großteil der Dresdner Fans angesichts der Serie von mittlerweile 17 sieglosen Partien etwas kritischer auf die letzten Wochen blickt. Capretti setzte sogar noch einen drauf. „Wenn wir mit dieser Intensität gegen Kaiserslautern auftreten, werden wir keine Chance haben.“
Diese Ansagen sollen in erster Linie als Wachrüttler dienen, denn spätestens jetzt muss Caprettis Mannschaft wieder anfangen Spiele zu gewinnen. Allerdings muss trotz des ernüchternden Auftritts festgehalten werden: Dynamo Dresden hat in diesem Jahr zwar noch nicht gewonnen, jedoch zehn Mal Uentschieden gespielt. Zudem endete nur eine der sechs Niederlagen mit mehr als einem Tor Unterschied. Die Sachsen fielen in den Duellen also qualitativ nie dramatisch ab - in den Begegnungen mit den Top-Teams der Liga wie Schalke, Bremen oder den HSV konnten sie sogar durchaus mithalten. Was ist also von der Dresdner Mannschaft in den beiden Relegationsspielen gegen den 1. FC Kaiserslautern zu erwarten? Eine statistisch-taktische Analyse.
Gegen den FCK setzt Capretti auf Erfahrung und defensive Stabilität
Grundsätzlich sind unter den von Capretti trainierten Teams zwei Spielsysteme denkbar. Sein „Lieblingssystem“ scheint das 4-3-3 zu sein, welches er beim SC Verl in aller Regel hat praktizieren lassen. Auch bei Dynamo startete er in den ersten Spielen mit dieser Formation. Nach den ersten Partien ohne Sieg wechselte er jedoch zum Spiel gegen Fortuna Düsseldorf zu einem 3-4-1-2 und damit auch in eine von der Idee her etwas defensivere Grundart, in der sich die Spieler im Abwehrverhalten schnell zu einer Fünferkette mit Doppelsechs davor verschieben können. Dieses System ist dem FCK durchaus bekannt, da die Roten Teufel selbst große Teile der Saison unter der Leitung von Marco Antwerpen mit Dreier- bzw. Fünferkette agiert haben. In den letzten Spielen der Saison wurde sogar exakt diese Mittelfeldformierung gewählt - meist mit Hikmet Ciftci und Marlon Ritter auf der Sechs sowie Mike Wunderlich davor mit offensiven Freiheiten auf der Zehn. Sollte Dirk Schuster an dieser Stelle nichts verändern wollen, ist durchaus denkbar, dass sich die Spielsysteme der Kontrahenten eins zu eins spiegeln werden. Daraus resultiert allerdings keineswegs eine zwangsläufig gegenseitige Neutralisierung.
Personell waren zuletzt keine großen Änderungen zu erwarten gewesen. Nach dem enttäuschenden Auftritt seines Teams gegen Aue hat Capretti allerdings bereits angekündigt, auf mehr Erfahrung und die viel beschworene Mentalität setzen zu wollen. Somit werden ein Einsatz von Sechser Yannick Stark oder dem rechten Schienenspieler Morris Schröter wahrscheinlicher. Sie könnten Paul Will und Agyemang Diawusie ersetzen. Über die ganze Saison betrachtet hatten die Dresdner allerdings nur wenig Wert auf Erfahrung gelegt. Mit einem Durchschnittsalter der eingesetzten Spieler von 26 Jahren stellten sie das zweitjüngste Team der 2. Bundesliga. Zu den Leistungsträgern zählen bei den Sachsen Torjäger Christoph Daferner, der bereits 13 Mal traf, sowie der ehemalige FCK-Kapitän Chris Löwe. Beide sind für die Relegationsspiele gesetzt.
Kaum Chancen, kaum Schüsse, kaum Tore
Ein Grund, warum die SGD auf den Relegationsplatz abgerutscht ist, ist die schwache Offensive: Nur 33 Treffer konnten die Sachsen in der abgelaufenen Zweitliga-Saison erzielen. Lediglich die bereits feststehenden Absteiger aus Aue und Ingolstadt trafen noch seltener. Die Erklärung für diese geringe Anzahl an Toren ist vielfältig. Zum einen spielt sich Dynamo nur unterdurchschnittlich viele Chancen heraus, wofür verschiedene Kennzahlen herangezogen werden können. So gab die SGD in dieser Saison die drittwenigsten Schüsse ab (10,91 pro Spiel), wovon im Schnitt nur 3,82 aufs Tor kamen. Außerdem erspielte sich das Team die drittwenigsten Großchancen der Liga (1,03 pro Spiel). Erschwerend kommt hinzu, dass die verhältnismäßig wenigen Chancen auch äußerst schlecht verwertet wurden. Den 33 Saisontoren steht ein xG-Wert* von 41,14 gegenüber, woraus sich Defizite in den Abschlussqualitäten der Spieler ableiten lassen.
Beim Blick auf den Spielstil der Ostdeutschen lohnt sich eine getrennte Betrachtung der Spiele unter Guerino Capretti und dessen Vorgänger Alexander Schmidt. Grundsätzlich war über die gesamte Saison hinweg zu beobachten, dass versucht wurde, eine ausgewogene Mischung zwischen Defensiv- und Offensivspiel auf den Platz zu bekommen, was sich beispielsweise. an durchschnittlich 50,9% Ballbesitz ablesen lässt. Allerdings ist der Wert für die Anzahl an Ballverlusten ligaweit der schlechteste (124,3). Außerdem spielt die Mannschaft die fünftmeisten langen Pässe der Liga (53,88 pro Spiel), wobei der Anteil an langen Bällen in den Spielen unter Capretti nochmal deutlich gestiegen ist. Darüber hinaus kommen nur vier Teams auf weniger Ballberührungen im Strafraum (17,0 pro Spiel). Seit dem Trainerwechsel ist allerdings die Zahl an Dribblings (83 statt 69 offensive Duelle pro Spiel) sowie deren Qualität angestiegen. So dringen die Spieler deutlich häufiger per Dribbling (+18%) und weniger per Flanken (-7,5%) mit Ball in den gegnerischen Strafraum ein. Für die Dribblings sind vor allem die rechten Schienenspieler Diawusie und Schröter verantwortlich (9,7 bzw. 8,0 pro 90 Minuten). Aber auch der pfeilschnelle Ransford-Yeboah Königsdörffer sucht immer wieder das Eins gegen Eins und vor allem den Weg in die Tiefe hinter der gegnerischen Abwehrreihe. Angesichts der Geschwindigkeitsdefizite in der Lautrer Abwehr (Kraus, Winkler, Zuck) wird es äußerst wichtig, die Tempoläufe der Dresdner durch cleveres Stellungsspiel und gutes Antizipieren zu unterbinden.
Auch wenn den Schwarz-Gelben mit Capretti an der Seitenlinie bislang noch nicht der Turnaround in Form eines Sieges gelang, ist noch hervorzuheben, dass sich die durchschnittlichen Schusspositionen in den letzten Spielen deutlich verbessert haben. So hat man sich bei den Werten für die durchschnittliche Torentfernung bei Schüssen sowie den xGoals* pro abgegebenen Schuss von den schlechtesten zu den besten 20% der Liga hin entwickelt.
Dresden legt Wert auf aggressives Pressing
Einen eher geringen Anteil an der aktuellen Misere hat die Defensive der SGD. Mit 46 Gegentoren stellt der Drittletzte der zweiten Liga die siebtbeste Abwehr, was für einen Abstiegskandidaten respektabel ist. Diese Statistik ist jedoch durchaus überraschend, denn im Ligavergleich hat Dresden die fünftmeisten gegnerischen Schüsse zugelassen (13,88 pro Spiel). Hierbei ist vor allem interessant, dass der Wert der statistisch erwarteten Gegentore mit 57,1 deutlich über den tatsächlich kassierten Gegentoren liegt. Es ist sogar der zweithöchste der Liga. Die große Differenz lässt sich zum einen durch gute Torhüter-Leistungen erklären, zum anderen aber auch durch eine ordentliche Portion Glück. Zwar konnten Stammkeeper Kevin Broll und Ersatzmann Anton Mitryushkin bei den Schüssen, die auch wirklich aufs Tor kamen, mehr als sechs erwartete Tore verhindern - andererseits haben die gegnerischen Stürmer auch mehr als fünf erwartete Tore dadurch liegen lassen, dass sie den Ball gar nicht erst aufs Tor brachten.
Auffällig ist zudem die hohe Pressingintensität, die Dynamo Dresden an den Tag legt. Mit 14,5 Balleroberungen pro Spiel im letzten Drittel hat man in dieser Kategorie den zweitbesten Wert der Liga vorzuweisen. Auch bei der „Challenge Intensity“ (Defensivaktionen pro Minute gegnerischen Ballbesitzes) und den „PPDA“ (Passes Per Defensive Action – Anzahl der gegnerischen Pässe bis zu einer Defensivaktion) liegt Dresden jeweils auf Platz vier - direkt hinter den Topteams des HSV, Werder Bremen und Schalke 04. Da Dynamo diesen Ansatz schon in Liga 2 praktiziert, spricht vieles dafür, dass sie auch gegen einen technisch in aller Regel schlechteren Drittligisten nicht davon abweichen werden, hoch anzulaufen und die Aufbauspieler früh unter Druck zu setzen. Darauf muss sich der FCK einstellen. Eine Lösung könnten frühe und lange Bälle in die Spitze in Richtung Terrence Boyd sein, wobei diese Vorgehensweise besonders in den vergangenen Spielen nicht mehr so gut funktionierte wie in weiten Teilen der Drittliga-Saison.
Prognose: Als Underdog hat der FCK gute Chancen
Bei der reinen fußballerischen Qualität dürften beide Mannschaften nicht allzu weit auseinanderliegen, zu gering ist traditionell der Leistungsunterschied zwischen dem Tabellenkeller der 2. und der Tabellenspitze der 3. Liga. In diesem Zusammenhang kann den Roten Teufeln Mut machen, dass von den bisherigen 13 Relegationsrunden neun zugunsten des Drittligisten endeten. Ganz im Gegensatz zur Relegation eine Liga höher: Dort gewann das niederklassige Team lediglich drei Duelle.
Und so wichtig taktische Ausrichtungen und Feinheiten sein können: Unabdingbare Erfolgsgrundlagen waren schon immer Kampf, Konzentration und die richtige Einstellung, besonders in solchen Endspielen. Darauf aufbauend wird es für den FCK entscheidend sein, die beiden Stürmer Daferner und Königsdörffer in den Griff zu bekommen und eine gute Pressingresistenz gegenüber den aggressiv anlaufenden Dresdnern aufzubauen - sei es über spielerische Lösungen oder über lange Bälle. Des Weiteren müssen die Lautrer ihre Chancen wieder deutlich effizienter nutzen. Bei den letzten drei Niederlagen kam die Mannschaft trotz eines xG-Werts* von 6,8 in Summe nur auf zwei Tore. Essenziell wird schließlich sein, ob es Dirk Schuster und seinem Assistenten Sascha Franz gelingt, der Mannschaft das Selbstvertrauen zurückzugeben, von dem es bis zum Derby gegen Saarbrücken nur so strotzte. Unter Marco Antwerpen hatte sich bereits ein funktionierendes System entwickelt und etabliert, welches es nun wiederzuerwecken gilt. Um viele taktische Neuerungen einzustudieren, wäre ohnehin zu wenig Zeit.
Die beiden Spiele gegen Dresden sind die wichtigsten der letzten Jahre und in der aktuellen Konstellation hat der FCK gute Chancen, gegen einen derart verunsicherten Zweitligisten zu bestehen. Auf geht’s, mer paggens!
Quelle: Treffpunkt Betze
* Ein xG-Wert beschreibt die Wahrscheinlichkeit eines Schusses, zu einem Tor zu führen. Daher liegt der Wert für einen einzelnen Schuss immer zwischen 0 und 1. Bei der Berechnung des Wertes werden u.a. der Ort des Torschusses, der Winkel zum Tor, die Bedrängnis der Gegenspieler, die Höhe des Balls und störende Spieler zwischen Abschlussposition und Tor berücksichtigt. Werden diese Werte addiert (bspw. 0,77 für einen Elfmeter), ergibt sich daraus die Menge an zu erwartenden Toren eines Spielers bzw. einer Mannschaft.