Freitod - letzter Ausweg oder feiger Rueckzug?

  • So blöd es sich anhört und ich weiß auch nicht richtig wie ich es ausdrücken soll, aber den Mut zu haben, sich selbst umzubringen find ich schon i-wie [genau hier fehlt mir das passende Wort - "bemerkenswert" will ich nicht benutzen]. Ich meine, wie fertig mit der Welt kann man sein, um sich diese Schmerzen (Schuß, Strick, usw.) zuzufügen? Abgesehen davon, was man alles verpasst? Die Gewissheit zu haben, ein Schritt nach vorne und es gibt kein zurück mehr?


    Gazza, und genau das ist das Ausmass eines Selbstmordes. Du hast es gut beschrieben und ich finde den Ausdruck "bemerkenswert" nicht daneben. Man geht, oder versucht, einen endgültigen Schritt zu machen und lässt alles zurück. Aber das, was zurück gelassen wird, ist anscheinend nicht genug um weiter leben zu wollen.


    @LautrerBub


    So sehe ich das auch. Hier negiert keiner die Folgen für die Familie oder für die Aussenstehenden. Aber man sollte auch, wie überall im Leben, zumindest versuchen, die andere Seite zu verstehen. Gerade bei so einem heiklen Thema.


    @Wilde


    Das war in keinster Weise ein Vorwurf gegen dich wegen diesen Erpressungen und ich kann auch deine Reaktion verstehen, die wahrscheinlich hätte früher kommen sollen. Wie gesagt, ich maße hier mir nicht an, dir da irgendwelche Vorwürfe oder ähmliches zu machen.


    Zum Soldat: Sind die Familien immer damit einverstanden, dass er in den Krieg zieht? Wie kann man jemand auf den Tod vorbereiten? Der kommt zwar nicht unbedingt aus dem nichts, ist aber auch nicht besser.

    Zitat

    Armer Mann trifft reichen Mann und sehn sich an. Da sprach der Arme zum Reichen: "Wär ich nicht arm, wärst Du nicht reich!"


    Bertolt Brecht

    Einmal editiert, zuletzt von rees1973 ()

  • Vielleicht gibt es ja mehrere Sichtweisen. Bei uns in der Gegend hat sich kürzlich ein junger Mann von einem Felsen gestürzt. Eine relativ verlassene Gegend. Nun ja, man hat ihn trotzdem gefunden. Er hat natürlich keine Medienpräsenz erwirkt. War aber auch kein bekannter Fußballer.


    Was einen Menschen dazu veranlasst freiwillig aus dem Leben zu scheiden kann ich nicht beurteilen. Aber es gibt sicher verschiedene Motive so etwas zu tun. Und die Art und Weise des Selbstmordes hat sicher auch etwas mit der Motivationslage des Suiziden zu tun. Ich bin mir ziemlich sicher, wenn ein Selbstmörder einen öffentlichen Weg wählt, macht er das ganz bewußt. Wen er damit belastet ist ihm wahrscheinlich nicht einmal egal. Rücksichtnahme ist jedenfalls sicher kein Motiv.


    Einem Menschen mit Selbstmordabsicht auf Dauer zu helfen ist immer schwer und manchmal unmöglich.

    8)


    Lucky Star


    von dort wo der Süden beginnt

  • Und die Art und Weise des Selbstmordes hat sicher auch etwas mit der Motivationslage des Suiziden zu tun.


    Nicht immer, aber sicher auch. Medikamente sind sehr unsicher und die Folgen nicht immer abzusehen, mit dem Strick oder Pistole kann man sich in den Rollstuhl oder ins Pflegebett befördern, sich vor einen fahrenden Zug zu werfen ist relativ sicher. Mit dem Auto gegen eine Wand fahren nicht.

    Zitat

    Armer Mann trifft reichen Mann und sehn sich an. Da sprach der Arme zum Reichen: "Wär ich nicht arm, wärst Du nicht reich!"


    Bertolt Brecht

  • Zum Soldat: Sind die Familien immer damit einverstanden, dass er in den Krieg zieht? Wie kann man jemand auf den Tod vorbereiten? Der kommt zwar nicht unbedingt aus dem nichts, ist aber auch nicht besser.



    Nein, einverstanden sind Sie in den meisten Fällen nicht. Aber der Soldat braucht ja auch nicht das Einverständnis seiner Familie. Allerdings setzt sich die Familie damit auseinander und ist einigermaßen darauf vorbereitet (auch wenn das irgendwie makaber klingt). Der Soldat muss ja auch ein Testament schreiben und dies hinterlegen. Ich hatte es bei meinen Eltern damals hinterlegt. Glaubt mir das war nicht schön......

    Zitat Kloppo zu Prince Boateng in Verbindung mit dessen Wechsel zu S04


    "Er war mir eigentlich sehr sympathisch,,,,,bis eben"


    *******************

    Einmal editiert, zuletzt von erazorlee ()

  • Ich denke im einen oder anderen Post wird sehr einseitig betrachtet was bei einem Selbstmord passiert, wobei ich dennoch der Meinung bin, dass jede/r seine Meinung haben darf und auch soll. Es gibt keine Meinungen die an sich verboten sind, es gibt nur Meinungen, die unbequem, extrem oder auch unangepasst sind. Bei einem Selbstmord sind die Seiten der Medaille sehr nahe beieinannder und doch sehr gegensätzlich. Auf der einen Seite die Familie, die Kinder und Freunde. Auch der Lokführer und die Zuginsassen. Auf der anderen der suizidale mensch, der eine einsame und sicherlich schwierige entscheidung getroffen hat. Und genau diese Seite ist eben nicht einsehbar, denn auch wenn man ein paar Begleitumstände kennt so ist das doch lange noch kein Bild, mit dem man verstehen kann, warum sich der mensch das Leben nimmt.


    Enke hat ein Kind verloren. Ich weiss leider nichtmal wie es ist ein Kind zu haben, so sehr ich mir das wünsche. Jedoch kann ich ganz, ganz leise erahnen wie es wäre wenn mein grösster Wunsch in Erfüllung geht und doch 2 Jahre später grausam endet. Dieser Gedanke erfüllt mich mit Furcht. Und ich weiss nicht was passieren würde wenn mich ein ähnlicher Schlag trifft. Ich bin jedenfalls weit davon entfernt so etwas als "feige" zu bezeichnen. Schrecklich ist es aber für alle Beteiligten.

    So schön wie früher wirds nie werden, das gibt die Zukunft so nicht her...

  • Also, um mal eines klar zu stellen: FEIGE ist ein Selbstmord mit Sicherheit nicht. Es gehört mehr Mut zum Tod denn zum Leben.

  • Medikamente sind sehr unsicher und die Folgen nicht immer abzusehen, mit dem Strick oder Pistole kann man sich in den Rollstuhl oder ins Pflegebett befördern, sich vor einen fahrenden Zug zu werfen ist relativ sicher. Mit dem Auto gegen eine Wand fahren nicht.


    Das ist so ein Punkt, über den ich mir früher manchmal Gedanken gemacht habe: Wenn Selbstmord, dann wie? Mit welchen Folgen muß man dann erst leben, wenn es nicht klappt.


    Medikamente - Magen auspumpen, eklig
    Erschießen - woher die Pistole nehmen?
    Springen - was, wenn man in der Luft nachdenkt? Kein zurück möglich. / Querschnittslähmung, Hirnschäden, usw.
    Autoabgase - zuviel Aufwand
    Strick - zu qualvoll
    Vor Zug etc. werfen, Pulsadern, Springen, usw. - überhaupt der ganze Suizid - erfordert Mut ohne Ende.


    Ich glaube es gibt kaum einen Fall, bei dem ein Außenstehender wirklich nachvollziehen kann, was in einem Sebstmörder vorging.

    Alles nur subjektive Wahrnehmungsdefizite! :kritisch:

  • Das ist ein tief ethisches Thema. Was ich immer wieder interessant finde ist, dass Menschen es sich anmaßen Pauschalurteile in solchen Bereichen zu fällen und diese dann auch noch vehement verteidigen. Es gibt bei solchen Fragen kein falsch und richtig, ebenso wie es kein gut und schlecht gibt. Man hat seine persönliche Meinung zu einem Thema, mehr auch nicht.




    Motive


    Einem Menschen, der den Freitod wählt Feigheit vorzuwerfen, ist schon eine sehr harte Behauptung. Als gesunder Mensch aus dem Bauch heraus, kann man diese Einschätzung teilen, aber denkt man mal etwas intensiver nach, dann kommen Zweifel. Ich behaupte, es ist nicht feige sich umzubringen. Also ich zum Beispiel hätte nicht den Mut dazu. Was muss ein Mensch fühlen, oder wie krank muss ein Mensch sein, dass er tatsächlich diesen Schritt geht? Welche Motive gibt es überhaupt, oder besser: welches Motiv ist so stark, dass ich diesen endgültigen Weg gehe? Das kann keine Sau hier beurteilen und deshalb kann auch keine Sau hier, sich anmaßen über Menschen, die diesen Weg wählen zu urteilen und sie zu bewerten. Es hört sich immer so einfach an, ist es aber beileibe nicht.



    Egoismus


    Jetzt gehen wir mal etwas philosophisch an die Sache ran. Ein klassischer Selbstmord ist psychologisch gesehen auf den ersten Blick ein egoistischer Akt. Das kann man schwer bestreiten. Bei einem Selbstmord zählt erst einmal das Ich und mein Befinden und es ist weniger Raum für die Anderen. Auf den ersten Blick! Aber auch das kann man nicht pauschalisieren, da es zum Beispiel die Sterbehilfe gibt. Das ist auch eine Art Freitod. Ein Freitod jedoch, der nicht auf purem Egoismus basiert. Denn oft möchten diese Menschen ihr Leid, aber auch das Leid für ihre Geliebten mindern und im Rahmen halten, soweit das überhaupt möglich ist. In letzterem Fall handelt der Selbstmörder manchmal sogar altruistischer (mitfühlend) als man erst einmal glauben möchte. Oder was ist mit Menschen, die keine Angehörigen hinterlassen? Nur sich verpflichtet sind - sind das auch feige Egoisten?



    Weg des Selbstmords


    Auch hier sollte man differenzieren. Reiße ich andere mit rein, wie zum Beispiel als Amokläufer oder Geisterfahrer? Oder auch in gewissem Maße, wenn ich mich vor einen Zug werfe? Bin ich mir überhaupt bewusst, was ich dem Lokführer, meiner Familie, oder Fremden antue? Ist es eine Kurzschlusshandlung oder nur das Ende eines langen Leidenswegs? Bei einer Kurzschlusshandlung sind die Fragen vorher und nach den Mitmenschen wiederum ganz anders zu bewerten als bei einem lang geplanten Suizid.


    Oder gehe ich still und heimlich, ohne andere zu gefährden? Will ich überhaupt gefunden werden? Will ich auf jeden Fall gefunden werden? Wenn ja, ganz oder nicht mehr erkennbar? Welche Botschaft steckt dahinter, wenn überhaupt eine dahinter steckt? Ist das dann alles die gleiche Art von Freitod? Was ich damit sagen will, ist dass diese Pauschalurteile bei solch heiklen Themen noch falscher sind, als beim üblichen "Alltagsblala". Da muss man höllisch aufpassen und erst einmal länger nachdenken und dann schreiben. Auch ist es gefährlich von eigenen Erlebnissen auszugehen und diese dann als Schablone für Alle zu sehen. Sein und Sollen - zwei paar Schuhe ;)



    Recht auf Leben = Recht auf Tod?


    Wieder ein tief ethische Frage. Wir gehen davon aus in der modernen, kirchlich geprägten, westlichen Welt, dass das Recht auf Leben der höchste Wert, das höchste Gut ist, was ein Mensch haben kann. Der Tod - das Gegenteil. Das war nicht immer so und vielleicht ist das auch nicht richtig. Warum sollte man das Recht auf das eigene Leben höher bewerten als das Recht dieses eigene Leben zu beenden? Wer macht diese Hierarchie denn? Ist der Tod nicht auch ein Teil des Lebens? Und wenn ich autonom mein Leben gestalten möchte, dann gehört auch die Entscheidung über das Ende zu meiner Autonomie.


    In vielen Kulturen ist das Recht zu sterben, wenn man es für sich entschieden hat akzeptiert. Früher mehr als heute - heute wird der Lebenswahn und das unendliche Leben als größtes Gut propagiert - das kann man auch anders sehen. Fragt mal bei den alten Griechen, oder auch bei asiatischen Kulturen nach. Der Tod ist dort nichts Schlimmes, auch für die angehörigen nicht. Er gilt als Befreiung und vielleicht wollte sich Robert Enke befreien? Die Würde eines Menschen sollte über allem stehen. Und wenn ein Mensch diese Würde des Lebens nicht mehr verspürt, dann soll er auch gehen dürfen. Und da mache ich keinen Unterschied zwischen körperlichen und seelischen Gebrechen. Sogar im Tierreich gibt es den Wunsch zu sterben. Die Tiere essen dann einfach nichts mehr, legen sich hin und schlafen irgendwann ein. Daraus kann man folgern, dass dieser Wunsch durchaus natürlicher Art ist - zumindest nicht so abartig, wie manche Kulturhörigen es darstellen.



    Lange Rede, kurzer Sinn: das Thema ist eine hoch sensible und schwierige Sache und beschäftigt die Menschen seit es sie gibt - das kann man nicht aus einem Bauchgefühl heraus pauschal beantworten und man wird es auch nie können :bier: Jedoch sollten wir uns alle viel öfter damit auseinandersetzen, denn Sterben werden wir alle - so oder so...




    Respekt, wer sich das jetzt alles durchgelesen hat :respekt: Sorry für Tippfehler, aber keine Zeit diese zu verbessern :undwech:

    sàwàddee kráb

  • Natürlich gibt es in der Egoismustheorie des Selbstmordes Ausnahmen und nicht nur im Bereich der Sterbehilfe. Auch Depressionen oder andere psychische Erkrankungen gehen nicht am Umfeld vorbei, so dass manche zu der Erkenntis gelangen, dass man anderen nicht mehr zur Last fallen möchte. Aber egoistische Anteile sind meiner Meinung nach immer vorhanden.


    Wo ich dann immer Probleme habe, wenn man geliebte Menschen mitnimmt, so wie z.B. bei der Mutter, welche mit ihrem Kind vom Balkon springt. Aber auch hier sollte man nicht vorschnell urteilen. Oftmals sehen diese Menschen für z.B. ihre Kinder keine Möglichkeit auf der Welt zu existieren, ohne sie selbst. Hier wird dann Angst und Mitleid für das Kind aufgebaut, so dass man es als einzige Erlösung für das Kind sieht, es mitzunehmen.


    Mit diesem Beispiel möchte ich nur sagen, dass die menschliche Psysche sehr gewaltig ist und nur im Ansatz für Aussenstehende bei Selbstmördern nachvollziehbar ist. Wenn man dann in mehreren Gesprächen vor einem kranken, labilen Menschen sitzt und Motivationsarbeit leisten muss, obwohl man genau weiss, dass es nicht an kommt, kommt man an seine Grenzen und kann erahnen, was in so einem Menschen vorgeht. Deshalb sollte man nicht über solche Schicksale vorschnell urteilen.

    Zitat

    Armer Mann trifft reichen Mann und sehn sich an. Da sprach der Arme zum Reichen: "Wär ich nicht arm, wärst Du nicht reich!"


    Bertolt Brecht