Diskussionsthema zum Artikel: Erst eiskalt, dann fahrlässig
Erst eiskalt, dann fahrlässig
Nach absolutem Traumstart gegen kriselnde Münchner schaltet der FCK für 70 Minuten in den Verwaltungsmodus - und gewinnt am Ende dennoch glücklich. Ein Kommentar.
Ohne Jean Zimmer, Felix Götze, René Klingenburg und Philipp Hercher startet der 1. FC Kaiserslautern furios ins Spiel bei Türkgücü München und führt nach sieben Spielminuten bereits mit 2:0, nur um anschließend in unerklärliche Passivität zu verfallen. Das Fazit lautet am Ende eher "Glück gehabt“ als "im Stile einer Spitzenmannschaft“.
FCK versäumt den frühen Knock-Out
Wäre das Spiel im Olympiastadion ein Boxkampf gewesen, wäre der Münchner Club vom FCK bereits direkt zu Anfang zweimal auf die Bretter geschickt geworden - im Anschluss hätte es lediglich eines weitereren Schlags bedurft, um den Gegner schon in Runde eins auszuknocken. Stattdessen zogen die Lautrer die Handschuhe aus, um die letzten acht Runden nur noch im Stile Muhammad Alis vor dem Gegner zu tänzeln. Tatsächlich landete Türkgücü dann nur noch einen Treffer - und die Roten Teufel konnten den Ring siegreich verlassen. Das lässt sich jetzt als souverän oder aber auch als fährlässig bezeichnen. Im nächsten Fight gegen das Schwergewicht Eintracht Braunschweig kann der FCK auf keinen Fall so passiv zu Werke gehen. Sonst wird der Gürtel am Saisonende an andere vergeben.
Antwerpen kann Zuschauerrückgang nicht bremsen
Coronabedingt fand die Partie im leeren Olympiastadion statt. Dies entspricht einem Rückgang von exakt 388 Zuschauern gegenüber dem letzten Türkgücü-Heimspiel gegen Zwickau. Um genau zu sein hat das Spiel aber einen Zuschauer: Lauterns Coach Marco Antwerpen muss seine fünfte gelbe Karte auf der Tribüne absitzen. So etwas passiert wahrscheinlich nur einem Trainer in der 3. Liga, wo sich die Schiedsrichter oftmals ganz besonders zu profilieren versuchen. Oder glaubt jemand ernsthaft, dass Bayern-Coach Julian Nagelsmann in der Bundesliga für jeden verbalen Einwurf sofort den gelben Karton sehen würde? Wenn dem so wäre, müssten die hochgeschätzten Sportkameraden Steffen Baumgart und Christian Streich wohl mit Sitzplatz-Dauerkarten ausgestattet werden.
Perfekter Start
Der Start ins Spiel könnte perfekter nicht sein: Max Hippe schlägt in der fünften Spielminute einen langen Pass auf die linke Seite, wo Kenny Redondo den weiter außen postierten Hendrick Zuck den Ball überlässt. Dieser schlägt die Flanke mustergültig auf den Kopf von Daniel Hanslik, welcher gegen die Laufrichtung des Torhüters zur 1:0 Führung einköpft. Nur zwei Minuten später erkämpft sich die FCK-Offensive im Gegenpressing am Strafraum des Gegners den Ball zurück. Hanslik könnte mit links schießen, überlässt aber für Hikmet Ciftci, der den Ball auf das Tor schießt und dabei von einem Torwartfehler profitiert: Die schnelle 2:0 Führung.
Beide Szenen verdeutlichen: Es stimmt im Team. Die Spieler sprechen miteinander, dem besser postierten wird der Ball überlassen, Teamgedanke kommt vor Egoismus. Die Abläufe und Laufwege wirken abgestimmt und eintrainiert. Die Roten Teufel kombinieren selbstbewusst, erspielen sich Torchancen und legen sich den Gegner ein ums andere Mal zurecht - wie ein Bundesligist gegen einen Oberligisten im DFB-Pokal. Gedanken an das 6:0 von Havelse kommen auf. Fällt jetzt noch das 3:0, dann ist auch dieses Spiel so gut wie entschieden und die ohnehin schon starke Tordifferenz der Lautrer kann noch einmal verbessert werden. Die Chancen dafür sind glänzend, denn einem konfuseren und verunsichteren Team als Türkgücü ist der FCK in einer Anfangsphase dieser Saison noch nicht begegnet. "Es ist alles das aufgegangen was wir diese Woche trainiert und besprochen haben“, fasst Co-Trainer Döpper die ersten Spielminuten in der Pressekonferenz zusammen.
Unverwundbare Deckung? Nein, doch nicht
Unverständlicherweise schalteten die Roten Teufel nach rund 20 Minuten völlig ohne Grund einen Gang zurück und überließen den Münchnern das Spiel. Fühlte sich das Team durch die lange zu-null-Serie defensiv unverwundbar? So unterirdisch der Auftritt von Türkgücü in der Anfangsphase auch war: Es handelt sich hier um einen der teuersten Kader der Liga. Die bundesliga-erfahrenen Spieler wie Sararer, Mavraj oder Sliskovic gehören normalerweise zu den Topspielern in Liga 3. Demzufolge nahmen die Münchner die Pfälzer Einladung gerne an, diktierten fortan das Spiel und erzielten nach der Pause auch den verdienten 1:2 Anschlusstreffer. Wie oft in den letzten Jahren war der FCK der Aufbaugegner für am Boden liegende Gegner? Am Freitag ist dies beinahe wieder der Fall. Zum Glück nur beinahe. Es bleibt schließlich beim 2:1 Sieg. Die Roten Teufel müssen sich fragen lassen, warum sie in der Anfangsphase nicht einfach versuchen den Sack zuzumachen und stattdessen einen Gegner wieder stark machen, der fast schon besiegt war.
In den restlichen 70 Spielminuten gelingt den Lautrern kaum noch Zählbares. Für einen Ellbogencheck von Mervin Mavraj gegen Daniel Hanslik müsste es Elfmeter geben. Ansonsten ist nur noch der Konter über Elias Huth in der Nachspielzeit eine Erwähnung wert, den Torwart Flückinger hervorragend pariert. Diese beiden Szenen sind allerdings deutlich zu wenig für diesen Spielverlauf.
Parallellen zum Viktoria-Spiel
Schon vergangene Woche gegen Viktoria Köln überließ der FCK dem Gegner das Mittelfeld nahezu komplett. Allerdings bekamen die bärenstarken und spielerisch überlegenen Kölner ab der Strafraumlinie trotzdem kaum richtige Chancen. Auf der anderen Seite zeigten sich die Roten Teufel eiskalt und nutzten je zwei Ecken und zwei Konter zum deutlichen, aber zu hohem 4:0 Sieg.
Das Türkgücü-Spiel zeigt hier viele Parallellen: Auch hier werden die ersten beiden Chancen verwertet und dem Gegner das Mittelfeld überlassen. Auch hier geht ein selbstbewusster FCK letztlich als Sieger vom Platz. Dennoch sorgen die beiden letzten Siege sowohl für Euphorie als auch für Skepsis. Die Roten Teufel werden sich nicht darauf verlassen können, stets mit der ersten Chance in Führung zu gehen und hinten kaum etwas zuzulassen. Auch wenn die Defensive seit Wochen herausragend steht, der eine oder andere Fehler ist immer dabei. Was passiert, wenn der Gegner als erstes trifft? Einen Rückstand konnte der FCK in dieser Saison noch nicht egalisieren.
"Es war sicherlich nicht unser bestes Spiel“, gab Hendrick Zuck nach dem Abpfiff zu Protokoll. "Wir hatten irgendwann keinen Zugriff mehr. Das müssen wir aufarbeiten, dass uns das nicht mehr über 70 Minuten passiert“. Man will sich gar nicht ausmalen, was im Lautrer Umfeld los wäre, hätte Türkgücü noch ein Remis erkämpft.
Spitzenspiel in Braunschweig
Zum abschließenden Spiel des Jahres gegen Eintracht Braunschweig wird das Lautrer Trainerteam einiges ändern müssen bzw. auch ändern können. Jean Zimmer, Philipp Hercher, René Klingenburg und Felix Götze standen im München alle nicht in der Startaufstellung. Alle vier sind Mittelfelfeldakteure und erklären damit zumindest teilweise, warum das Lautrer Mittelfeld zuletzt schlechter sortiert schien als noch vor wenigen Wochen. Der eine oder andere könnte am kommenden Samstag in Braunschweig in die Startaufstellung rücken.
Die Niedersachsen stehen nach vier Siegen aus den letzten fünf Spielen auf dem zweiten Tabellenrang hinter den schon etwas enteilten Magdeburgern. Bei einer Niederlage am Samstag betrüge der Rückstand auf den zweiten Platz bereits sechs Punkte. Bei einem Sieg hingegen könnten die Pfälzer erwartungsfroh in die kurze Winterpause gehen. So oder so: Die Roten Teufel haben den schlechten Start weitestgehend egalisiert und greifen weiter oben an – egal wie viele Punkte aus Braunschweig letztlich entführt werden.
Quelle: Treffpunkt Betze