Der folgende Post hat nichts mit den kalten Fakten zu tun. Hier versucht jemand seine Gefühlswelt, sehr bildhaft zu beschreiben. Ich finde den sehr lesenswert.
Da ich von Mutter Natur mit einer gehörigen Portion Leidensfähigkeit ausgestattet wurde, habe ich für mich, mit mir zusammen, beschlossen die Frage am Ende mit einem Ja zu beantworten.
ZitatAlles anzeigenMein alter, kranker Freund
Ich habe einen guten Freund. Und er ist schwer krank.
Viele Jahre haben wir gemeinsam verbracht. Haben zusammen geweint, zusammen gelacht. Waren unterwegs in ganz Deutschland, überall. Wir teilen viele gemeinsame Erinnerungen an das, was mal war. Aber seit einigen Jahren schon, da geht es meinem Freund nicht gut.
Zuerst wussten wir beide nicht, was es ist. Vielleicht geht ja doch alles bald vorbei? Vielleicht ist es ja gar nicht so schlimm mit dieser Krankheit. Allein die Symptome waren deutlich: Das blutrote Herz, es schlägt nicht mehr so kräftig.
Am Anfang stolperte die Pumpe nur hin und wieder. Wir dachten, das gibt sich schon. Herzblut hatten wir beide noch genug, das war klar. Und so schleppte sich mein guter Freund dahin. Mal ging es besser, mal ging es schlechter. Man kennt das.
Doch seit einer Weile schon ist es klar: Ein Spenderherz muss her. Da hilft kein Herumdoktern mehr, keine Homöopathie. Aderlass hat auch nicht funktioniert. Nein, mein Freund braucht das ganz große Ding, keine halben Sachen mehr. Bald steht die entscheidende Operation an, und mir ist schlecht.
Ich habe meinen guten Freund länger nicht besucht. Vielleicht, weil mir sein Zustand jedes Mal Kummer bereitet hat, wenn ich ihn so sehen musste. All die schönen Jahre, immer war er der Größte und Stärkste für mich. Und heute hängt er da, am Tropf, und sieht das Ende.
Das Spenderherz muss her. Alles auf Rot. Die letzte Karte wird gespielt.
Lange haben wir gewartet und gebangt, ob wir einen passenden Spender finden. Viele boten sich nicht an. Ein Herz, das gibt man schließlich nicht einfach mal so. Aber nun ist es so weit: Ein Spender hat sich gemeldet. Mehrere sogar sollen es sein. Und ich frage mich: Meinen die es ernst? Geben die meinem Freund wirklich, was er so dringend braucht? Oder ist es nur ein Bluff? Ein falsches Spiel, um an seinen Nachlass zu kommen? Einige reiben sich schon die Hände. Mein Freund hat schließlich einiges zu veräußern. Neben seinem guten Namen sind das jede Menge Grundstücke, die sind teuer heute. Scheiße. Was, wenn das alles nur ein Trick ist? Die nutzen seine Notlage doch nur aus! Warum haben die sich nicht schon früher gemeldet!? Warum jetzt, wo er von den Strapazen der letzten Jahre schon so sehr gezeichnet ist? Ob er das Herz annimmt…
Der Operationssaal wird vorbereitet, heißt es. Die Ärzte sind sich nicht einig über das Vorgehen. Sie streiten und zanken wie kleine Kinder, jeder will Recht haben. Keine gute Voraussetzung für einen so riskanten Eingriff. Ich habe Angst. Wird mein Freund es schaffen? Ist es nicht viel eher ein Sterben auf Raten, und wäre ihm nach all der langen Leidenszeit nicht viel eher damit geholfen, wenn er seinen Frieden machen könnte? Ich weiß es nicht. Ich habe es nicht zu entscheiden.
Aber eines weiß ich zum Glück: Ich bin nicht alleine mit meinen Sorgen.
Viele Freunde konnte mein Kumpel schon immer sein Eigen nennen. Wenn es hart auf hart kam, waren sie alle da. Sie schlugen sich an seiner Seite für ihn, sie opferten ihre Zeit, viel Geld. Nahmen tausend Mühen auf sich, nur um bei ihm zu sein, ihn zu unterstützen. In guten und in schweren Zeiten. Und auch am Ende werden sie bei ihm sein, das ist sicher. Sie alle würden ihr Herz für ihn geben, wenn sie es denn nur könnten.
Auch wenn mein Freund nie ganz einfach war. Immer schon war er ein Chaot, gerne stand er im Mittelpunkt. Hat sich oft überschätzt und konnte nie das Maul halten, wenn‘s denn mal angebracht gewesen wäre. Hart, aber herzlich. Das machte ihn immer schon besonders und so wird es auch bleiben. Der ändert sich nicht mehr.
Bald steht sie an, die Operation, und der Ausgang ist ungewiss. Darum werde ich ihn noch einmal besuchen gehen, meinen alten, kranken Freund. Diesen Samstag, um halb zwei. Kommst du mit?