Diskussionsthema zum Artikel: Teil I: Zwischen Höhenflug und Causa Betzenberg
Teil I: Zwischen Höhenflug und Causa Betzenberg
In Teil I der neuen Ausgabe seiner Kolumne „Vegess emol dei Redd ned“ beschäftigt sich Gerrit mit dem Aufschwung und dem neuen FCK-Auftrieb unter Boris Schommers.
Boris Schommers hat in
Kaiserslautern eine neue Euphorie entfacht. Doch jetzt muss die
Mannschaft beweisen, dass sie mit ersten Rückschlägen mental
umgehen kann. Ums Überleben kämpft der FCK trotzdem. Wieder einmal.
Gelingen kann der
Kampf nur mit
neuer finanzieller Unterstützung.
Rund
fünf Monate ist meine letzte Kolumne nun schon her. In der
schnelllebigen Welt des Fußballs ist das eine halbe Ewigkeit. Und so
hat sich auch beim 1. FC Kaiserslautern in den letzten Monaten viel
getan. Sascha Hildmann ist nicht mehr Trainer. Dem
Herzblut-Coach, der den Verein lebte, fehlten am Ende einfach die
nötigen Ergebnisse und die erforderliche Konstanz, um eine positive
Entwicklung der Mannschaft möglich zu machen. Die Vereinsführung
rund um Martin Bader, Michael Klatt und die Beiräte Patrick
Banf und Jochen
Grotepaß sind ebenfalls Geschichte. Wahrlich viel Stoff, auch für
einen Traditionsverein wie den 1. FC Kaiserslautern, der Unruhe und
Trubel gewohnt
ist.
Als
Mitte September kurz vor dem neunten Spieltag Boris Schommers das
Traineramt beim FCK übernahm, war von Euphorie rund um den
Betzenberg nichts zu spüren. Zu niedergeschlagen waren die Fans,
dass es auch im zweiten Drittligajahr scheinbar nicht gelingen
sollte, um den Aufstieg wenigstens mitzuspielen. Das 1:6 gegen Meppen
– der Schlusspunkt der Ära Hildmann, tat dabei sein Übriges zur
verschärften Herbstdepression in der Pfalz. Etwas, was auch Boris
Schommers so erlebte. „Als
ich das erste Mal hoch zum Betzenberg gefahren bin, hatte ich
Gänsehaut. Aber die Stimmung im und um den Verein war dermaßen
negativ, dass ich zu Kevin McKenna gesagt habe: Was machen wir hier?
Wir haben jetzt zwei Möglichkeiten: Entweder wir steigen heute ins
Auto ein, sagen Martin Bader, es war ein Trugschluss und wir gehen
wieder. Oder wir greifen das ganze Thema an. Wir haben uns fürs
Angreifen entschieden.“
Und
als der FCK vier der ersten sechs Spielen unter Schommers verlor,
insgesamt nur vier Punkte holte und auf einen Abstiegsplatz
abrutschte, gab es nicht wenige, für die des Trainers Entlassung nur
noch eine Frage der Zeit zu sein schien. Doch
dann setzte die Mannschaft von Boris Schommers das um, was er sich
bei Amtsantritt vorgenommen hatte: Sie griff an.
Totgesagte leben länger: Der (scheinbar) überraschende Höhenflug
„Bisweilen
überrascht ein Sieg niemand mehr als den Sieger selbst.“ Dieser
Ausspruch stammt zwar nicht aus einem Pfälzer
Mund, sondern vom Autor Otto Weiss. Jedoch glaube ich für die
meisten Fans des FCK zu sprechen, wenn ich sage, dass mit der
Siegesserie gegen Ende der Hinrunde wohl niemand rund um den
Betzenberg gerechnet hatte. Ich selbst beschloss nach der 2:3
Heimniederlage gegen Würzburg, das Spiel in Düsseldorf gegen
Uerdingen einmal nicht zu verfolgen. Und so staunte ich natürlich
nicht schlecht, als ich die Ticker-Meldungen auf meinem Handy las.
Das müsse ich jetzt immer so machen, bekam ich schnell von
FCK-Freunden zu hören. Den Teufel werd‘ ich tun sagte ich mir,
auch wenn ich merkte, wie der alte Aberglaube in mir wieder hochkam.
Ein Aberglaube, den sicher jeder Herzblut-Fan kennt. Wie oft
verfolgte ich früher meine festen Rituale,
wie beispielsweise das handschriftliche Eintragen der aktuellen
Tabelle mit meinem Glücksstift genau zehn Minuten vor Anpfiff des
nächsten Spieltags. Machte ich das einmal nicht, glaubte ich, konnte
der FCK nur verlieren. Leider gibt es diese Tabelle nicht mehr. Und
meinen Glücksstift auch nicht. Ach, was waren das noch Zeiten.
Doch
zurück ins Hier und Jetzt. Dem FCK gelang gegen die Krefelder also
ein kleiner Befreiungsschlag. Werteten viele den 3:0 Auswärtssieg
gegen Uerdingen noch als „positiven Betriebsunfall“, gefiel die
Schommers-Elf beim 2:0 Heimsieg über Rostock schon mehr. Endlich
einmal zwei Siege in Folge. Etwas,
was Sascha Hildmann in seiner Amtszeit leider kein einziges Mal
vergönnt war. Nicht wenige Fans und Journalisten machten hierfür
jedoch vor allem die desolate Rostocker Mannschaftsleistung
verantwortlich. Doch als eine Woche später auch Viktoria Köln mit
4:2 geschlagen wurde, konnten auch die letzten Zweifler nicht mehr
bestreiten: Es war eine Entwicklung zu erkennen!
Erstmals
seit über drei Jahren konnten die Roten Teufel drei Liga-Siege in
Serie feiern. Zwei weitere „Dreier“ sollten diesen Trend zu einer
echten Erfolgswelle ausbauen, und das achtbare Unentschieden zum
Jahresausklang in Unterhaching sorgte gar dafür, dass eine
regelrechte Euphoriewelle durch Kaiserslautern schwabbte. Die Stadt,
die noch einen Monat zuvor im Nebel der Tristesse zu versinken schien
und der Regionalliga näher war als je zuvor.
Doch
wie war dieser Aufwärtstrend, der scheinbar aus dem Nichts kam, zu
erklären? Sollte Martin Bader etwa in seiner Kaderzusammenstellung
doch nicht so daneben gelegen haben?
Es
ist wohl nicht übertrieben, wenn man in der Analyse vor allem einen
Mann in den Vordergrund stellt, und das ist Boris Schommers. Wohl
noch nie schaffte es ein Trainer am Betzenberg innerhalb so kurzer
Zeit vom Buhmann zum Hoffnungsträger zu werden. Sicher muss man auch
hier anmerken, dass es beim Pfälzer Traditionsverein von
himmelhochjauchzend
bis zu Tode betrübt nicht allzu weit ist. Uffm Betze is halt
entwedder alles subber un mer marschiere dorsch die Liga odder die
Luftbumbe uffm Platz steihen ab. Nicht zu vergessen die regelmäßigen
„Isch geh nimmi
nuff!“ Ausrufe
von Fans, die teilweise seit über vierzig Jahren den Berg alle zwei
Wochen erklimmen und dies natürlich auch weiter tun. Der Betze eben,
so wie man ihn einfach lieben muss.
Schommers packte an: Erfrischend wenig Floskeln und überfällige Personalentscheidungen
Doch
das gegenwärtige Lob für Schommers sind keine verfrühten
Lorbeeren, die utopischen Träumereien geschuldet sind. Schommers hat
angepackt und es gibt handfeste Punkte die zeigen, was sich in den
letzten Monaten verbessert hat.
Punkt
eins,
die Hierarchie:
Schommers kündigte schon zu Beginn seiner Amtszeit an, sich die
ersten Wochen die Mannschaft anzuschauen und dann gegebenenfalls
Konsequenzen zu ziehen. Als der FCK Anfang November nach dem 2:3 zu
Hause gegen Würzburg auf einen Abstiegsplatz rutschte, griff der
Coach durch. Kapitän Christoph Hemlein, der die Mannschaft
eigentlich führen sollte und gegen Würzburg einmal mehr zeigte,
dass er dazu nicht in der Lage war, wurde als Captain abgesetzt und
durch Carlo Sickinger ersetzt. Hemlein wurde zu den Amateuren
geschickt. Ihm folgten Janek Sternberg – ein Missverständnis auf
ganzer Linie, und Jungtalent Antonio Jonjic, der an seine anfänglich
starken Leistungen der letzten Saison nicht mehr anknüpfen konnte.
Ein zweifelsfrei mutiger Schritt von Schommers, schließlich birgt so
eine Maßnahme auch die Gefahr, eine Mannschaft gegen sich
aufzubringen. Doch die Entscheidung stellte sich als richtig heraus,
mehr noch: Die Mannschaft wirkte seitdem fast wie befreit und agierte
endlich auch auf dem Platz als Einheit.
Punkt
zwei, die
Spielerleistung: „Ich
will jeden Spieler, jeden Tag ein bisschen besser machen.“ Nein,
dieser Satz stammt nicht von Boris Schommers, er wurde 2008 vom
damaligen Bayern-Trainer Jürgen Klinsmann geprägt, der
bekanntermaßen seiner Zeit diese Prämisse nicht erfüllen konnte.
Jetzt wäre es sicher übertrieben zu sagen, Schommers habe jeden
Spieler besser gemacht, jedoch ist eine Leistungssteigerung bei
vielen Spielern klar erkennbar. So haben sich etwa die
Außenverteidiger Schad und Hercher stabilisiert und
sind aus dem System fast nicht mehr wegzudenken. In
ihrem Defensivspiel sind
sie wesentlich stabiler
und auch im Spielaufbau deutlich präsenter und kreativer als noch
einige Monate zuvor. Zudem sind unter Schommers mit Andre Hainault
und Hendrick Zuck zwei Spieler zu Stammkräften avanciert, die zuvor
schon auf dem Abstellgleis standen. Insbesondere Zuck hat dabei wohl
alle Fans positiv überrascht. Doch auch Hainault gefällt als
Abwehr-Chef zusammen mit Kevin Kraus. Lukas Gottwalt oder Jonas
Scholz haben da aktuell
keine Chance.
Punkt
drei, Kader und System: Nicht zuletzt hat sich die Spielweise des FCK
fundamental geändert. Insbesondere in der Wintervorbereitung im
türkischen Belek haben die Roten Teufel daran noch einmal
gearbeitet. So wurde mit Alexander Nandzik ein Außenverteidiger aus
Regensburg geholt, der als Konkurrent für Philipp Hercher dafür
sorgen soll, dass der FCK noch höher anläuft, verteidigt und
aggressives Pressing spielt. „Lang
und weit
bringt Sicherheit“,
über Jahre fester Bestandteil der FCK-Spielkultur, soll nur noch
eine Notlösung sein. Schommers will, dass seine Mannschaft
spielerische
Antworten findet. Und das tut sie. Ob im 4-4-2 oder wie zuletzt im
4-3-3, Lautern agiert jetzt im System variabel und ist so auch nicht
mehr so leicht auszurechnen wie anfangs der Saison, auch wenn gegen tief stehende Gegner immer noch häufig Ideen fehlen, um Abwehrriegel wie zuletzt der von Preußen Münster zu durchbrechen.
Punkt
vier, das
Stimmungsbild: Boris
Schommers ist einer der Verantwortlichen dafür,
dass rund um den Betzenberg die Gemütslage wieder deutlich besser
ist als noch im Spätherbst des vergangenen Jahres. Ein
entscheidender Wendepunkt hierfür war die Jahreshauptversammlung im
Dezember. Mit dem Team rund um Markus Merk und Rainer Keßler wurden
Leute in die Aufsichtsgremien des Vereins gewählt, denen die
Mitglieder vertrauen und die eine neue Ehrlichkeit vermitteln. Sie
verkörpern das, was den Fritz-Walter-Klub
ausmachen muss. Bodenständigkeit, Transparenz und ein
Wir-Gefühl.
Eigenschaften, die gerade im so bedeutenden Jubiläumsjahr 2020
reaktiviert werden mussten. Sie haben es geschafft, den Verein der
zerstritten und gespalten war, innerhalb kürzester Zeit wieder zu
einen. Dafür gebührt ihnen schon jetzt große Anerkennung. Mit
Soeren Oliver Voigt verpflichteten sie außerdem einen neuen
Geschäftsführer, der fachlich und menschlich Hoffnung macht, dass
auch der höchst schwierige Kampf um die Existenz in diesem Jahr
wieder gut enden wird.
Doch
auf dieser Jahreshauptversammlung sorgte eben auch der Trainer für
ein entscheidendes Ausrufezeichen. Erstmals richtete nämlich mit
Schommers ein Trainer eine Rede an die Mitglieder. Und was für eine.
Schommers erklärte sein eigenes Vier-Säulen-Modell,
erklärte seine Art Fußball zu spielen, lobte die Fans, aber nahm
sie auch in die Pflicht. „Es
gibt Gründe warum dieser Verein in der 3. Liga spielt. Genauso habe
ich aber auch meinen Spielern gesagt, gibt es Gründe, warum sie in
der dritten Liga und nicht höherklassig spielen.“
Solche Sätze kamen an. Sie packten das anwesende Publikum und
verbreiteten sich schnell in der Fangemeinde. Von nun an hatte Boris
Schommers einen Kredit bei den Fans, der sich durch die Siegesserie
und die scheinbar neue Lautrer Spielkultur weiter ausbaute und auch durch die jüngste Ergebniss-Krise nicht direkt wieder erschöpft ist. Überhaupt stellte sich Schommersnicht als Mann der Fußballfloskeln heraus. Stattdessen gibt es meist klare Aussagen, sowie taktische Analysen. Das übertrug sich scheinbar auch auf die Mannschaft. Plötzlich wurde in
Kaiserslautern sogar wieder von Aufstieg gesprochen. Lautern eben.
Hopp oder Top. Dazwischen gibt es nicht viel.
Aber
macht nicht gerade diese Emotionalität den Traditionsverein aus der
Pfalz so liebenswert und einzigartig? Diese Begeisterungsfähigkeit
kann immer noch Berge versetzen, auch in der dritten Liga. Ohne sie
wäre der einst so glorreiche Betzenberg schon eine verkommene Ruine.
Von Hierarchieänderungen bis zu euphorischen Aufstiegswünschen. Warum es gerade unter Boris Schommers gleich mehrere Hinweise darauf gibt, dass sich der Verein sportlich in die richtige Richtung entwickelt, darum ging es in diesem ersten Teil. In unserem morgigen zweiten Teil wird es neben den finanziellen Herausforderungen im Verein um die bisher unveränderten Probleme gehen. Und davon hat der FCK seit Jahresbeginn gleich mehrere.
Quelle: Treffpunkt Betze